Drei Weisheiten zur Effizienz im Gesundheitswesen:
Ineffizienz im Gesundheitssystem kann man nicht wegdigitaliseren.
Unterschätze niemals die Strickjacke und den Bauch darin!
Und schon gar nicht Ghana, Chile, Costa Rica oder Thailand.
Damit, liebe Freundinnen und Freunde der Effizienz, herzlich willkommen zur zweiten Folge unserer kleinen Serie über In- und Effizienz im Gesundheitswesen. Die ersten drei Punkte waren auch schon die Spoiler dieser Podcast-Episode. 😎 Nachdem wir in Folge 1 überlegt haben, was Effizienz überhaupt ist, beschäftigen wir uns heute mit dem Blick in andere Länder. Ein Paper von Rahab Mbau et al. ist etwas erhellend – und für unserer Blick durch die chauvinistische Wohlstandsbrille hält es eine überraschende Einsicht parat.
Plus für alle zu dieser Episode: eine ausführliche Zusammenfassung und die Literatur.
Plus für alle Unterstützer zu dieser Episode: Wie immer das vollständige Transkript des Gesprächs und ein kurzes Glossar der Effizienz.Schreibt uns: podcast@evidenzupdate.de
Ein Blick über die Grenzen 🌍
Das Paper von Mbau et al. ist ein systematischer Review, der 130 internationale Publikationen zu Effizienz in Gesundheitssystemen ausgewertet hat. Das Ergebnis ist ein Kaleidoskop: methodische Vielfalt, teilweise Chaos, aber eben auch große Unterschiede bei Inputs und Outputs.
Während in manchen Studien nur mit Geld und Fallzahlen gerechnet wird, fließen in andere auch Parameter zu Personal, Infrastruktur oder Bildung ein. Auf der Output-Seite geht es mal um behandelte Fälle, mal um Lebensqualität oder Krankheitslast.
Das erste Problem: Diese Vielfalt führt dazu, dass Vergleiche zwischen Ländern wacklig bleiben. Hinzu kommen Datenprobleme – viele Länder haben nicht einmal die Routinedaten, um belastbare Analysen zu ermöglichen. Eine „critical barrier“.
Noch schwerer wiegt aber: Häufig fehlt der systemische Blick. Governance, soziale Ungleichheit, politische Stabilität – alles Faktoren, die Effizienz wesentlich beeinflussen, aber oft ausgeblendet bleiben.
Effizienz als Notwendigkeit, nicht als Luxus
Das vielleicht eindrücklichste Ergebnis: Effizienz entsteht dort, wo sie unausweichlich ist. In Deutschland „benehmen wir uns manchmal wie ein Entwicklungsland auf hohem Niveau“ – wir haben technische Möglichkeiten, aber keine innere Ordnung. Andere Länder, gerade mit mittlerem oder niedrigem Einkommen, müssen sich viel konsequenter fragen, wo jeder Euro, jeder Arzt, jede Krankenschwester den größten Nutzen bringt.
„Vielleicht geht es uns einfach noch nicht schlecht genug?“ Eine unbequeme Wahrheit. Denn wer arm ist, kann sich Ineffizienz schlicht nicht leisten. Effizienz wird dann zur Frage des Überlebens – nicht der Budgetoptimierung. 💡
Internationale Beispiele und Lektionen
Einige Länderbeispiele, die zeigen, wie Effizienz gedacht und umgesetzt wird:
Thailand verknüpft Effizienz eng mit Gerechtigkeit. Es wird nicht nur gerechnet, was ein Medikament kostet, sondern welcher Public-Health-Impact entsteht.
Ghana setzt auf dezentrale Datenerhebung und Monitoring, um Versorgungslücken früh zu erkennen. Transparenz wird so zu einem Effizienzfaktor.
Chile und Costa Rica operationalisieren Effizienz über Outcomes wie Lebensqualität oder vermiedene Krankheitslast.
Großbritannien geht den radikalsten Weg: Neue Therapien und Diagnostik werden knallhart einer Kosten-Nutzen-Bewertung unterzogen. Wenn die Schwelle überschritten ist, fällt die Intervention durch. Die Währung sind QALYs (Quality-Adjusted Life Years).
Das verbindende Muster: Effizienz wird dort verstanden als Verantwortung und Gestaltungsprinzip – nicht als Synonym für Sparen.
Zwei Charts (am 4. September von Our World in Data geladen) illustrieren die Diskrepanz zwischen Lebenserwartung und Gesundheitsausgaben:
QALYs, Priorisierung und die deutsche Scheu ⚖️
Bleiben wir bei der britische Praxis und schauen wir auf die deutsche Zurückhaltung. In Deutschland ist die Kosten-Nutzen-Bewertung (KNB) im Sozialgesetzbuch, dem SGB V, zwar als Möglichkeit vorgesehen, sie wird aber so gut wie nie genutzt.
Warum? Mehrere Gründe: eine kulturelle Scheu vor expliziter Priorisierung, historische Erfahrungen, die Angst, Leben in Euro pro Jahr auszudrücken. Stattdessen geschieht Priorisierung implizit, ungesteuert, ungerecht.
„QALYs sind für das deutsche Gesundheitswesen das, was das Tempolimit für den Verkehr ist. Jeder weiß, dass es rational sinnvoll wäre, aber keiner traut sich, es durchzusetzen.“ 🚗
Priorisierung bleibt ein Tabu. Das liegt auch daran, dass der Begriff schnell mit Rationierung verwechselt wird. Schon frühere Forschungsgruppen in Deutschland (siehe Literatur unten) haben genau diese Angst herausgearbeitet.
Primärversorgung schlägt Hochleistungsmedizin
Ein anderes Problem: Die Volksmeinung hält High-Tech-Medizin bekanntlich für effizient, weil sie sichtbar, spektakulär und technologiegetrieben ist. Maximale Intervention = maximaler Nutzer. Nur: „Die wirkliche Effizienz bemisst sich an den gesundheitlichen Ergebnissen einer Bevölkerung, nicht am Durchsatz einzelner MRTs.“
Es gibt die Studien, die zeigen: Systeme mit starker Primärversorgung sind günstiger, gerechter, nachhaltiger und erzielen vergleichbare oder bessere Outcomes. Ein empathisches Gespräch in der Strickjacke kann effizienter sein als das teuerste Gerät, wenn es einen Krankenhausaufenthalt vermeidet. Und dann dieser Satz, der fast zur Punchline wird:
„Unterschätze niemals die Strickjacke und den Bauch da drin.“
Missverständnisse und Marketingfallen 🛠️
Und dann die Fehlentwicklungen: Immer wieder wird Effizienz zum Marketingbegriff für neue Geräte, Software oder Apps. Die Hoffnung: Technik macht das System effizient. Doch das Gegenteil ist oft der Fall.
„Effizient ist kein Produktmerkmal, das man kaufen kann. Es ist ein Steuerungsprinzip.“ Und: Digitalisierung schlechter Prozesse mache sie nicht besser, nur teurer. Am Ende hat zwar ein Anbieter eines tollen Produkts verdient (das ist dann für ihn effizient), aber im System ist nichts besser geworden.
Sonderweg oder struktureller Chauvinismus?
Ein weiterer Hemmschuh: die Überzeugung, dass Deutschland von anderen nichts lernen könne. „Wir halten unser System für so einzigartig, dass wir reflexhaft sagen: Das ist nicht vergleichbar.“ Wir nennen das „strukturellen Chauvinismus“, ein gefährlicher Hemmschuh.
Andere Länder – ob Thailand, Ghana oder Dänemark – zeigen, dass man priorisieren, Ressourcen gezielt einsetzen und Ergebnisse ehrlicher messen kann. Die deutsche Selbstverliebtheit verhindert, dass wir solche Lektionen ernst nehmen.
Fazit: Effizienz als Verantwortungsbegriff
Effizienz ist kontextabhängig. Sie muss politische, soziale und kulturelle Rahmenbedingungen einbeziehen. Sie darf nicht als Sparziel verstanden werden, sondern als Gestaltungsprinzip für eine gerechte, wirksame, verantwortungsvolle Versorgung.
Mit anderen Worten:
„Vielleicht ist die größte Ineffizienz von allen, gute Ideen nicht wahrzunehmen, nur weil sie von woanders kommen.“
Literatur
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