Willkommen im Herbst, liebe Leute, und willkommen zu einem neuen EvidenzUpdate. Vorsicht, heute kommt es ganz dicke. Wir nehmen uns eine aus mehreren Gründen interessante Arbeit vor: einen Head-to-Head-Vergleich, der die GLP-1-Analoga Semaglutid und Tirzepatid (das als Twinkretin auch an GIP bindet) untersucht bei Menschen mit kardiometabolischer Herzinsuffizienz (konkret HFpEF).
Werbeblock: Wer uns live erleben will, ist herzlich eingeladen zur DEGAM-Jahrestagung in Hannover (1.–3.10.). Am Donnerstag (2.10.) von 13–14 Uhr zeichnen wir live in Hörsaal H eine Podcast-Episode auf. Thema: Lecanemab und Donanemab – Hype, Gamechanger oder Gefahr für die Versorgung? Special Guest ist Thomas Duning, Chefarzt der Klinik für Neurologie am Klinikum Bremen-Ost und Mitglied der DGN-Kommission Demenz.
Nun aber zur heutigen Arbeit:
Die GLP-1-Analoga sind bzw. waren ja als sogenannte „Abnehmspritzen“ schon Game-Changer, mindestens für die Hersteller: Semaglutid (Ozempic, Rybelsus, Wegovy) hat Novo Nordisk enorme Umsätze beschert, ebenso Tirzepatid (Mounjaro, Zepbound [nur USA]) Eli Lilly. Im vergangenen Jahr galt die Aktie von Novo Nordisk (NOV) zeitweise als die größte Aktie Europas. Mittlerweile wird sie als der größte Verlierer bezeichnet. Hintergrund ist für Analysten offenbar der Wettbewerb zwischen den Präparaten und die Aussicht auf Generika. Novo will jetzt 9.000 Stellen streichen. Und auch der Kurs der Lilly-Aktie (LLY) sinkt derzeit. Da helfen bislang hierzulande auch die „Lex Lilly“ und der erste vertrauliche Erstattungspreis nicht.
Wie wäre es deshalb mit einer Indikationserweiterung für die GLP-1-Analoga? Ein interessanter Head-to-Head-Vergleich von Krüger et al. liefert jedenfalls eine krasse (relative!) Risikoreduktion 40 % bei Menschen mit einer HFpEF und Typ-2-Diabetes. Der Vergleich: Sitagliptin als „Placebo-Proxy“.
Spoiler: Wir finden, dieser Stellvertreter ist ein kühner Move. Und wie immer gibt es zu dieser Episode:
Plus für alle hier: die Zusammenfassung, die Literatur und die Studie in Kürze.
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Die Studie in Kürze
PICO
Population
Erwachsene mit HFpEF (Herzinsuffizienz mit erhaltener Ejektionsfraktion)
Kardiometabolische Komorbiditäten: Adipositas (BMI ≥27–30), Typ-2-Diabetes
Daten aus US-Versicherungsdatenbanken (Medicare, Optum, MarketScan)
Stichprobengröße:
58.333 (Semaglutid vs Sitagliptin)
11.257 (Tirzepatid vs Sitagliptin)
28.100 (Tirzepatid vs Semaglutid)
Intervention
Neueinnahme von Semaglutid oder Tirzepatid
Comparator
Sitagliptin als „Placebo-Proxy“ (auf Basis TECOS: kein Effekt auf HF-Ereignisse)
Outcome
Primärer Endpunkt: Kombiniert aus
Hospitalisierung wegen Herzinsuffizienz
Gesamtmortalität
Sekundär: weitere Composite (inkl. HF-Notfallvisiten), Einzelkomponenten, Sicherheit (GI-Nebenwirkungen, Infektionen)
Methodik
Design: 5 aktive Kohortenstudien, „New User“-Ansatz
RCT-Emulation: Emulation von STEP-HFpEF DM (Semaglutid) und SUMMIT (Tirzepatid) → Benchmarking gegen Original-RCTs
Follow-up: bis 52 Wochen
Analyse:
Propensity-Score Overlap Weighting (umfangreiche Adjustierung für Komorbiditäten, Medikamente, Frailty, Inanspruchnahme)
Hazard Ratios (Cox-Modelle) + Kaplan-Meier-Absolutrisiken
Negative Control Outcomes: Lumbale Radikulopathie, Hernie (→ keine Assoziation)
Subgruppen: Alter (<70 vs ≥70), Geschlecht, BMI (<40 vs ≥40)
Sensitivitätsanalysen: alternative Endpunktdefinitionen, ITT-Analysen, Cross-application von Einschlusskriterien
Ergebnisse
Semaglutid vs Sitagliptin
HR 0,58 (95% CI 0,51–0,65)
Absolutrisiko 1 Jahr: 5,5 % vs 8,6 %
Risikodifferenz –3,2 % (NNT ≈ 31)
Tirzepatid vs Sitagliptin
HR 0,42 (95% CI 0,31–0,57)
Absolutrisiko 1 Jahr: 3,6 % vs 7,5 %
Risikodifferenz –3,9 % (NNT ≈ 26)
Tirzepatid vs Semaglutid
HR 0,86 (95% CI 0,70–1,06)
Kein signifikanter Unterschied (Risiko ~3,3 % vs 3,4 %)
Sekundäre Endpunkte
Konsistent bessere Ergebnisse vs Sitagliptin
Kein substantieller Unterschied zwischen Semaglutid und Tirzepatid
Sicherheit
Keine relevanten neuen Sicherheitssignale
GI-Nebenwirkungen, Infektionen vergleichbar
Limitationen
Nicht-randomisiert → trotz Adjustierung mögliches Residual Confounding („Staub unter dem Teppich“)
Adhärenz nicht direkt messbar (Daten aus Verschreibungen)
Klinische Variablen wie Symptomlast, exakte Ejektionsfraktion, HbA1c oft nicht verfügbar
Proxy-Kontrolle: Sitagliptin als Placebo-Ersatz – methodisch diskutabel
Generalisierbarkeit: überwiegend US-Versicherte, mittleres Alter ~67–71 Jahre, BMI hoch (36–40); weniger Daten zu Hochbetagten, Multimorbiden oder europäischen Settings
Unser Fazit
Man könnte zu der Wahl des DPP4-Hemmers Sitagliptin als Placebo-Proxy sogar sagen: „Das ist so, als würde ich Ihnen ein alkoholfreies Bier hinstellen und behaupten, es sei Wasser.“ 🍺
Auch interessant an der Arbeit ist die „Trial Emulation“, quasi ein virtueller RCT. Als Basis für den Vergleich haben die Autoren zunächst Versichertendaten aus fünf US-Kohorten (2018–2024) herangezogen. Und zum Benchmarking wurden die RCTs STEP-HFpEF DM (Semaglutid) und SUMMIT (Tirzepatid) herangezogen.
Ein virtueller RCT ist so, als hätten wir randomisiert, haben es aber nicht. Der Preis dafür dafür ist Residual Confounding, wir vergleichen es mit Staub unter dem Teppich. Da kann man noch so viel saugen, es bleibt immer ein kleiner Rest zurück. Wir plädieren eindeutig für Parkett. 🪵
Ein weiterer Stolperstein sind die Adjustierungen. Die sind freilich statistisch notwendig und üblich, aber bergen eben auch Risiken. Wie bei einer Schranktür, die schief hängt. Wenn man oben am Scharnier schraubt, dann quietscht es auf einmal unten. Oder wie bei Photoshop: Man zieht die Perspektive gerade, aber ob das Bild dann noch die Realität exakt abbildet, ist fraglich.
Wir ziehen ein pragmatisches Fazit: GLP-1-Analoga scheinen bei HFpEF Vorteile zu haben. Aber es bleibt Unsicherheit. Und in der Praxis sind die Patienten hochbetagt, multimorbid, pflegebedürftig. Und natürlich spielen auch die Kosten der GLP-1-Analoga eine Rolle. Stand jetzt wird das noch kein Game-Changer.
Oder mit anderen Worten: Diese Arbeit ist wie ein spannendes Rezept im Kochbuch. Klingt gut, macht Appetit, aber ob es in meiner Küche funktioniert, bleibt abzuwarten.
Literatur
Krüger N, Schneeweiss S, Fuse K, et al. Semaglutide and Tirzepatide in Patients With Heart Failure With Preserved Ejection Fraction. JAMA 2025;334(14). doi: https://doi.org/10.1001/jama.2025.14092
Kosiborod MN, Petrie MC, Borlaug BA, et al. Semaglutide in Patients with Obesity-Related Heart Failure and Type 2 Diabetes. N Engl J Med 2024;390(15):1394–407. doi: https://doi.org/10.1056/nejmoa2313917
Packer M, Zile MR, Kramer CM, et al. Tirzepatide for Heart Failure with Preserved Ejection Fraction and Obesity. N Engl J Med 2025;392(5):427–37. doi: https://doi.org/10.1056/nejmoa2410027
Green JB, Bethel MA, Armstrong PW, et al. Effect of Sitagliptin on Cardiovascular Outcomes in Type 2 Diabetes. N Engl J Med 2015;373(3):232–42. doi: https://doi.org/10.1056/nejmoa1501352
Wang SV, Schneeweiss S, Initiative R-D, et al. Emulation of Randomized Clinical Trials With Nonrandomized Database Analyses. JAMA 2023;329(16):1376–85. doi: https://doi.org/10.1001/jama.2023.4221
Wang SV, Russo M, Glynn RJ, et al. A Benchmark, Expand, and Calibration (BenchExCal) Trial Emulation Approach for Using Real‐World Evidence to Support Indication Expansions: Design and Process for a Planned Empirical Evaluation. Clin Pharmacol Ther 2025;117(6):1820–8. doi: https://doi.org/10.1002/cpt.3621