Moin, liebe Freundinnen und Freunde eines effizienten Gesundheitssystems. Wie wäre es wieder mit „Weisheiten“ zur Effizienz im Gesundheitswesen? Bitte schön:
Reformen scheitern nicht an Ideen, sondern an Besitzständen.
Unreformierbarkeit ist kein strukturelles, sondern ein kulturelles Problem.
Damit, herzlich willkommen, steigen wir in Folge 4 unserer kleinen Serie über In- und Effizienz im Gesundheitswesen ein. Und wenn wir uns schon sonst wenig Freunde machen: mit dieser Episode werden wir es ganz sicher nicht. Denn heute sprechen wir über Besitzstände und Besitzstandswahrung, mithin die ärgsten Widersacher von mehr Effizienz im Gesundheitswesen. Um es vorwegzunehmen: Weder wollen wir einzelne Personen anprangern, noch Interessengruppen. Interessen (und sie zu vertreten) sind das Normalste der Welt, auch in der Selbstverwaltung des Gesundheitswesens. Aber ebenso offensichtlich gelingt es uns kaum oder nur schlecht, einen klügeren Umgang damit zu finden. Im Ergebnis enden nicht wenige Debatten um eigentlich notwendige und dringende Reformen im Streit um den schnöden Mammon, beim Tanz ums goldene Kalb. Über die Problembeschreibung und mögliche Auswege sprechen wir in dieser Episode. Viel Freude beim Reinhören!
Plus für alle zu dieser Episode: eine ausführliche Zusammenfassung und die Literatur.
Plus für alle Unterstützer zu dieser Episode: Wie immer das vollständige Transkript des Gesprächs und ein kurzes Glossar der Effizienz.Schreibt uns: podcast@evidenzupdate.de
Wir nennen diese Episode auch die „Granitepisode“. Denn das deutsche Gesundheitswesen ist wie ein verwinkelter Altbau mit 130 Anbauten. Niemand weiß mehr, wo die Statik herkommt. Aber wehe, man rührt eine Wand an: Sofort schreien zig Lobbygruppen: „Einsturzgefahr!“
Das Dilemma der Reformen
Wenn wir unser Gesundheitssystem verändern wollen, oszillieren wir stets zwischen Detailkosmetik und utopischen Masterplänen. Kleine Korrekturen verpuffen und große Reformen scheitern an Besitzständen. Da wird immer wieder ausgeholt zum großen Wurf, und was bei rauskommt, ist ein klug gefalteter Papiervogel – der nicht fliegt, sondern Akten füllt.
Aus der politischen Theorie wissen wir auch: Politik denkt von Wahl zu Wahl. Körperschaften und Verbände verteidigen ihre Reviere. Die sogenannte „Krankenhausreform“ ist nur das jüngste prominente Beispiel, die Debatte um eine verbindliche Primärversorgung nur eines der nächsten. Und auch die Ärzteschaft (Cave!) verstrickt sich in Eigeninteressen. Man denke nur an die Novelle der Weiterbildungsordnung (M-)WBO oder der Gebührenordnung GOÄ. Kurz: Das System belohnt das Verwalten.
Trotz ständiger Bewegung bleibt vieles unverändert, oder mit anderen Worten: Wir erleben ein System mit erstaunlicher Trägheit bei erstaunlich hohem Tempo. Hartmut Rosa und Paul Virilio würden sagen: „rasender Stillstand“. Effizienz im besten Sinne würde jedoch bedeuten: „nicht schneller, billiger, dünner – sondern klüger, gezielter, wirksamer.“
Generalreform beerdigen, lernendes System aufbauen
Eine große Generalreform? Die gibt es nicht. Man könnte fast ein T-Shirt drucken: ‚Die Generalreform ist tot, lang lebe das lernende System‘. Stattdessen braucht es viele kleine, konkrete Schritte: Reallabore, Pilotprojekte, regionale Experimente. Der Weg führt nicht über den einen Paukenschlag, sondern über ein lernendes System, das messen, verstehen, handeln kann.
Und, wir hatten es schon in einer der letzten Episoden: Effizienz braucht Mut zur Transparenz. Wenn wir sehen, dass in manchen Regionen doppelt so viel operiert wird wie in anderen, ohne dass dadurch jemand gesünder ist, dann ist das ein Schreckmoment, und der sollte Veränderungsdruck erzeugen. Effizienzreformen dürfen nicht länger heißen: „Wem nehmen wir was weg?“, sondern: „Wie können wir gemeinsam gewinnen?“
Kultur statt Struktur
Das eigentliche Problem ist denn auch ein kulturelles. Wir brauchen eine neue Kompromisskultur, die nicht auf Maximalpositionen setzt, sondern auf ein gemeinsames Bild von der Zukunft. Statt Besitzstandswahrung müsste gelten: Niemand verliert, sondern wir alle gewinnen, zum Beispiel Zeit, Vertrauen, Verlässlichkeit.
Und wer würde ernsthaft gegen die Aussage sein, dass jeder Euro, jede Stunde, jede Handlung im Gesundheitswesen dem Patientenwohl dienen sollte? Dann aber darf Effizienz kein abstraktes Prinzip bleiben, sondern muss gelebte Praxis sein, das Fundament allen Handelns. Das braucht aber auch den Mut, Macht und Strukturen neu zu denken und schließlich kleine, lernende Schritte zu gehen.
Literatur
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