Alle reden über Effizienz im Gesundheitswesen, sei es weil wahlweise „die Kosten explodieren“, „die Mittel knapp werden“ oder alternativ wegen des „demografischen Wandels“. Also reden wir auch über Effizienz – in einer neuen Serie im EvidenzUpdate-Podcast. Wir starten mit Staffel 1 und fragen in der ersten Episode: Was ist eigentlich Effizienz? Kunst, oder kann das weg? Und falls nicht: Wie misst man sie, und was unterscheidet richtige von falscher Effizienz?
Wir begutachten rasch „Schrödingers Katze“ im Gesundheitssystem, wenn man so will die Quantenmechanik der Versorgungssteuerung. Und wir gelangen in ein besonderes „Paninialbum“.
Das EvidenzUpdate hat ein neues Zuhause auf www.evidenzupdate.de, dort gibt es alle Episoden, Zusatzmaterial und den kostenlosen Newsletter.
Plus für alle zu dieser Episode: eine ausführliche Zusammenfassung und die Literatur.
Plus für alle Unterstützer zu dieser Episode: Wie immer das vollständige Transkript des Gesprächs und ein kurzes Glossar der Effizienz.In den nächsten Episoden schauen wir auf internationale Vergleiche, systemische Messungen und die „harte Nuss“ der Implementierung.
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Nicht nur in der Politik wird der Effizienz-Begriff ubiquitär benutzt. Böse gesprochen ist für manche das Gesundheitswesen dann effizient, wenn „niemand mehr Zeit hat, krank zu sein“. Effizienz ist zu einem politischem Schlagwort verkommen. Aber: Effizienz ist kein technokratisches Ziel, sondern ein hochgradig normativer, sogar ethischer Begriff. Martin Scherer:
„Effizienz heißt nicht mehr machen, sondern das Richtige machen. Es geht um Gerechtigkeit.“
Im Kern geht es darum, dass jeder eingesetzte Euro im Gesundheitswesen nicht nur eine Ausgabe ist, sondern immer auch eine Entscheidung: Wo er investiert wird, fehlt er an anderer Stelle. Damit wird Effizienz zu einem Gerechtigkeitsversprechen: Ressourcen sollen so genutzt werden, dass sie tatsächlich beim Patientenwohl ankommen.
Und: „Effizienz“ ist kein statisches Konzept, sondern ein wandelbarer, relationaler Begriff, der sich mit System, Kontext und Perspektive verändert.
Der Dschungel der Begriffe
Und sobald man sich mit dem Thema beschäftigt, landet man rasch in einem Begriffswirrwarr von Wirksamkeit (Efficacy), Effektivität (Effectiveness) und Effizienz (Efficiency), Begriffe, die auch Politiker nicht immer präzise verwenden.
Efficacy fragt: Funktioniert etwas unter idealen Studienbedingungen?
Effectiveness: Funktioniert es im Alltag der Versorgung, mit allen Unschärfen?
Efficiency schließlich fragt: Ist das Ergebnis den Aufwand wert – in Geld, Zeit, Personal, Ressourcen?
Übrigens, hier gibt es unseren Effizienz-Glossar.
Entökonomisierung vs. Entkommerzialisierung
Selbst der frühere Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbachs hat sich begrifflich verrannt, nämlich bei seiner Forderung nach einer „Entökonomisierung“ des Gesundheitswesen. Da war KL einiges durcheinandergeraten:
Ökonomie im eigentlichen Sinn bedeutet sinnvoller Umgang mit begrenzten Ressourcen.
Was Lauterbach meinte, sei die Entkommerzialisierung, also die Zurückdrängung von Renditedenken und Shareholder-Logik zugunsten des Patientenwohls.
Ursachen für Ineffizienzen
In unserer ersten Episode suchen wir in der Literatur nach Ursachen, wann und warum Gesundheitsversorgung ineffizient ist. Eindrucksvoll ist die Arbeit von Saini et al. (Lancet 2017), die drei bekannt Hauptprobleme identifiziert: Überversorgung, Unterversorgung, Fehlversorgung – oder wie Scherer es nennt: „too much, too little, too wrong“.
Die existieren bekanntlich nicht isoliert, sondern parallel zueinander, und sie verstärken sich sogar gegenseitig. Überversorgung bindet Ressourcen, die dann bei notwendiger Versorgung fehlen. Fehlversorgung wiederum blockiert das Richtige.
Hilfreich finden wir auch die Publikation von Cylus et al. (2017). Sie Autoren unterscheiden technische Ineffizienz (Dinge nicht gut genug machen) von allokativer Ineffizienz (die falschen Dinge tun). Gerade Deutschland, so der Tenor, leistet sich bei hohem Mitteleinsatz bemerkenswerte Lücken, etwa durch unkoordinierte Versorgung oder übermäßige Nutzung stationärer Leistungen.
Cave Schrödingers Katze!
Wer ein Gesundheitswesen effizient(er) machen will, muss diese Effizienz messen anhand festgelegter Indikatoren. Betriebswirte und sogenannte Manager würden von „Key Performance Indicators“ (KPI) sprechen. Medizinisch würden wir eher und bestenfalls von Outcomes sprechen. Nur welche? Mortalität? Lebensqualität? Funktionsfähigkeit? Angstreduktion? Je nach Perspektive variieren die Antworten.
Nur führt uns das zu einem Problem, das wir aus der Quantenmechanik kennen, nämlich „Schrödingers Katze“: denn Messung schafft Realität. Wenn man einen Indikator als Effizienzkriterium wählt (z. B. kürzere stationäre Liegezeiten), führt die Messung zu (neuen) Anreizen und Fehlanreizen und verändert sich dadurch das Verhalten der im System Tätigen: etwa frühere Entlassungen, höhere Rehospitalisierungen etc. Die Katze ist damit zugleich „tot und lebendig“: (vermeintliche) Effizienzsteigerung und Versorgungsverschlechterung zugleich.
Politik und Buzzwords
Unsere Kritik zielt auch auf die politische Debatte: Effizienz wird als Zauberwort beschworen, aber kaum jemand liefert konkrete Outcomes oder Messgrößen. Scherer:
„Das ist so, als würde jemand vom Klimaschutz sprechen, ohne zu wissen, was CO₂ ist.“
Damit bleibt Effizienz in der Politik oft eine Leerformel, die Gefahr läuft, in „billiger statt besser“ umzuschlagen.
Ethik und Gerechtigkeit
Nur: Effizienz hat vielmehr mit Gerechtigkeit zu tun. Denn Ineffizienzen sind nicht nur teuer, sie sind auch unfair. Sie entziehen anderen Patient:innen Leistungen. Effizienz ist damit ein ethisches Gebot. Und sie verlangt, das Aushalten von Unsicherheit zu akzeptieren: Nicht alles kann verhindert werden, nicht jede Einzelschicksal darf zu Übertherapie führen.
„Effizienz ist kein Sparziel, sondern ein Gerechtigkeitsversprechen.“
Ein Hoffnungsschimmer
Von Cylus et al. lernen wir: Ineffizienz ist kein Naturgesetz. Sie ist menschengemacht und damit auch veränderbar. Das Fazit lautet: Effizienz bedeutet nicht Kostenreduktion, sondern verantwortungsvoller Ressourceneinsatz für das Patientenwohl.
Literatur
dpa. Scholz: Mehr Effizienz im Gesundheitswesen. APOTHEKE ADHOC. 2024. https://www.apotheke-adhoc.de/nachrichten/detail/politik/scholz-mehr-effizienz-im-gesundheitswesen/?utm_source=chatgpt.com (accessed 20 Aug 2025).
AOK-Bundesverband. Weniger Verschwendung, mehr Effizienz. 2025. https://www.aok.de/pp/bv/bundestagswahl-2025/modernisierung-krankenhaus/ (accessed 20 Aug 2025).
Bodderas E. Gesundheitssystem: „Deutschland schafft es, aus Überfluss einen Mangel zu organisieren“. WELT. 2025. https://www.welt.de/politik/article255825878/Gesundheitssystem-Deutschland-schafft-es-aus-Ueberfluss-einen-Mangel-zu-organisieren.html (accessed 7 Apr 2025).
Nina Warken (Bundesministerin BMG). Bundestags-Plenarprotokoll 21/4 S. 229 (A). 2025. https://dserver.bundestag.de/btp/21/21004.pdf#P.229 (accessed 20 Aug 2025).
Sachverständigenrat zur Begutachtung der Entwicklung im Gesundheitswesen und in der Pflege. Fachkräfte im Gesundheitswesen: nachhaltiger Einsatz einer knappen Ressource - Gutachten 2024. 2024. doi: https://doi.org/10.4126/frl01-006473488
Saini V, Garcia-Armesto S, Klemperer D, et al. Drivers of poor medical care. Lancet2017;390(10090):178–90. doi: https://doi.org/10.1016/s0140-6736(16)30947-3
Cylus J, Papanicolas I, Smith PC. Identifying the causes of inefficiencies in health systems. Eurohealth: Quarterly of the European Observatory on HealthSystems and Policies;23(2):3–7. http://eprints.lse.ac.uk/83004/
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