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HSPA – wie wir das Gesundheitssystem vermessen könnten
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HSPA – wie wir das Gesundheitssystem vermessen könnten

Effizienz im Gesundheitswesen – Folge 3

Cheers, Freundinnen und Freunde der Effizienz! Wie wäre es wieder mit „Weisheiten“ zur Effizienz im Gesundheitswesen? Bitte schön:

  1. Transparenz ist unbequem, aber die letzte Rettung.

  2. In Deutschland lieben wir Modellprojekte – aber wenn es ernst wird, bleibt alles beim Alten.

Und damit ein herzliches Willkommen zur dritten Folge unserer kleinen Serie über In- und Effizienz im Gesundheitswesen. In der letzten Episode haben wir und mit Strickjacken und mit Chauvinismus beschäftigt. Heute geht es ans Eingemacht, nämlich einen gesundheitspolitischen System-Navi. Wir sprechen über ein (Obacht!) Framework, mit dem eine systematische Vermessung des Gesundheitswesens möglich wäre, mithin ein Tool, das unsere Gesundheitssystem zu einem machen könnten, das sich gleichsam selbst beobachtet – und zum echten lernenden System würde. Wir sprechen über HSPA, das Health System Performance Assessment. Und wir sprechen darüber, warum wir es jenseits der Pilotierung nicht einsetzen.

Plus für alle zu dieser Episode: eine ausführliche Zusammenfassung und die Literatur.
Plus für alle Unterstützer zu dieser Episode: Wie immer das vollständige Transkript des Gesprächs und ein kurzes Glossar der Effizienz.

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HSPA: Psychoanalyse für das Gesundheitssystem?

Das Health System Performance Assessment ist ein Projekt eines Teams um Reinhard Busse von der TU Berlin, im Auftrag und mit Förderung vom Bundesgesundheitsministerium. Das HSPA ist ein „Versuch, das Gesundheitssystem mit einem systematischen Blick zu vermessen, und zwar nicht nur anhand einzelner Kennzahlen oder entlang von Sektorengrenzen, sondern in toto.“

Augenzwinkernd könnte man es auch „eine Psychoanalyse für das Gesundheitssystem“ nennen. Aber die entscheidende Idee ist die: Mit diesem Assessment ein lernendes System schaffen, das sich selbst beobachtet, Fehler erkennt, Stärken ausbaut und daraus strategische Schlüsse zieht.

Die sechs Dimensionen der Analyse

Das HSPA lehnt sich an Modelle von WHO und OECD an. Es unterscheidet sechs Dimensionen:

  1. Zugang zur Versorgung – Wer bekommt welche Leistungen, wie barrierefrei?

  2. Effizienz – Wie gut werden Ressourcen in Outcome übersetzt?

  3. Gleichheit und Gerechtigkeit – Ist das System für alle da?

  4. Versorgungsqualität – Struktur-, Prozess- und Ergebnisqualität.

  5. Systemsteuerung – Koordination, Ziele, Verantwortlichkeiten.

  6. Vertrauenswürdigkeit und Transparenz – Offenheit und Nachvollziehbarkeit als Grundlage für Legitimität.

Besonders auffällig ist, wie eng Effizienz mit Gerechtigkeit verwoben ist. Es klingt einleuchtend, aber: „Wer braucht was, wann, wo und was soll am Ende dabei rauskommen? Das klingt banal, ist aber in der Praxis komplex.“

80 Indikatoren: Vom Zahlengerüst zum Navi

Das HSPA arbeitet mit rund 80 Indikatoren – von Wartezeiten über Impfquoten bis hin zu Präventionsraten und Outcome-Messungen. Und es geht gerade nicht um Geldströme, sondern um das System. Wir nennen es ein „Gesundheits-Navi", ein „Navigationssystem für die Gesundheitspolitik“.

Doch schon im Aufbau zeigen sich auch hier Herausforderungen: Manche initial aufgenommene Indikatoren mussten später wieder gestrichen werden, weil es an kontinuierlichen oder interoperablen Daten fehlte. Und schon das ist ein Befund über unser schlecht koordinierendes und nicht gut koordiniertes Gesundheitswesen: „Das ist wie bei einem Orchester, bei dem jede Instrumentengruppe in einem anderen Land spielt und keiner weiß gerade, ob das zweite Horn oder das Cello dran ist.“

Transparenz – Fluch oder Rettung?

Nur warum wurde das HSPA bislang nicht verstetigt? Drei mögliche Gründe:

  1. Modellprojektitis – Deutschland liebe Pilotprojekte, aber deren Verstetigung scheitere an Konsequenz.

  2. Politische Reibung – Transparenz macht Missstände sichtbar, und „niemand liest gerne in einem Spiegel, der einem sagt: hier läuft es nicht.“

  3. Fehlender institutioneller Anker – Es brauche ein dauerhaftes Zuhause für solche Projekte, ähnlich wie Health Observatories in anderen Ländern.

Vielleicht, könnte man überlegen, herrscht eine „epistemologische Lustlosigkeit“ in der Politik? Wir geben uns selbst eine Antwort: „Wir tun uns schwer, weil wir ein System haben, das nicht primär auf Lernen, sondern auf Besitzstandswahrung angelegt ist.“

Besitzstandswahrung, der Cliffhanger

Und diese Diagnose führt zu unserem Cliffhanger für die kommende Episode: Besitzstandswahrung und Interessenkonflikte. „Transparent ist unbequem. Wenn ich systematisch sichtbar mache, wo Ressourcen verschwendet werden, wo Menschen unterversorgt sind oder wo Strukturen ineffizient sind, dann geraten Akteure unter Druck – und Druck erzeugt Gegendruck.“

Mit anderen Worten: Transparenz ist zwar notwendig, aber politisch riskant.

Fazit: Diagnose ohne Therapie?

Deutschland hat das Wissen, die Methoden und (hie und da jedenfalls) auch Daten – aber nicht den Willen zur Umsetzung. „Wenn man das System nicht verstehen will, dann kann man es auch nicht verbessern.“ Und: „Transparenz ist keine Gefahr für das System, sie ist eigentlich die letzte Rettung.“

Literatur

  1. dpa. Scholz: Mehr Effizienz im Gesundheitswesen. APOTHEKE ADHOC. 2024. https://www.apotheke-adhoc.de/nachrichten/detail/politik/scholz-mehr-effizienz-im-gesundheitswesen/?utm_source=chatgpt.com (accessed 20 Aug 2025).

  2. AOK-Bundesverband. Weniger Verschwendung, mehr Effizienz. 2025. https://www.aok.de/pp/bv/bundestagswahl-2025/modernisierung-krankenhaus/(accessed 20 Aug 2025).

  3. Bodderas E. Gesundheitssystem: „Deutschland schafft es, aus Überfluss einen Mangel zu organisieren“. WELT. 2025. https://www.welt.de/politik/article255825878/Gesundheitssystem-Deutschland-schafft-es-aus-Ueberfluss-einen-Mangel-zu-organisieren.html (accessed 7 Apr 2025).

  4. Nina Warken (Bundesministerin BMG). Bundestags-Plenarprotokoll 21/4 S. 229 (A). 2025. https://dserver.bundestag.de/btp/21/21004.pdf#P.229 (accessed 20 Aug 2025).

  5. Sachverständigenrat zur Begutachtung der Entwicklung im Gesundheitswesen und in der Pflege. Fachkräfte im Gesundheitswesen: nachhaltiger Einsatz einer knappen Ressource - Gutachten 2024. 2024. doi: https://doi.org/10.4126/frl01-006473488

  6. Saini V, Garcia-Armesto S, Klemperer D, et al. Drivers of poor medical care. Lancet2017;390(10090):178–90. doi: https://doi.org/10.1016/s0140-6736(16)30947-3

  7. Cylus J, Papanicolas I, Smith PC. Identifying the causes of inefficiencies in health systems. Eurohealth: Quarterly of the European Observatory on HealthSystems and Policies;23(2):3–7. http://eprints.lse.ac.uk/83004/

  8. Mbau R, Musiega A, Nyawira L, et al. Analysing the Efficiency of Health Systems: A Systematic Review of the Literature. Appl Heal Econ Heal Polic2023;21(2):205–24. doi: https://doi.org/10.1007/s40258-022-00785-2

  9. Fuchs C, Nagel E, Raspe H. Rationalisierung, Rationierung und Priorisierung – was ist gemeint? Deutsches Ärzteblatt 2009;106(12):A554-7.

  10. Raspe H, Friedrich D, Harney A, et al. Medizinische Behandlungsmethoden: Was macht sie medizinisch notwendig? Teil II: Weitere Kriterien, Übermaßverbot, wandernde Grenzen und Grauzonen. Das Gesundheitswesen2019;81(11):945–54. doi: https://doi.org/10.1055/a-0965-6748

  11. Raspe H, Friedrich D, Harney A, et al. Medizinische Behandlungsmethoden: Was macht sie medizinisch notwendig? Teil I: Medizinische Methoden, medizinische Notwendigkeit und ihre Hauptkriterien. Das Gesundheitswesen2019;81(11):933–44. doi: https://doi.org/10.1055/a-0965-6866

  12. Krick T. Willkommen im absurden Theater des deutschen Gesundheitswesens – eine wahre Geschichte aus meinem Bekanntenkreis. LinkedIn. 2025. https://www.linkedin.com/posts/dr-tobias-krick_willkommen-im-absurden-theater-des-deutschen-activity-7350791779127812096-PfWg/ (accessed 18 Aug 2025).

  13. Achstetter K, Blümel M, Hengel P, et al. Piloting a Health System Performance Assessment for Germany - insights from trend and equity analyses. Eur J Public Heal2022;32(Supplement_3):ckac131.305. doi: https://doi.org/10.1093/eurpub/ckac131.305

  14. Blümel M, Hengel P, Achstetter M, et al. Health System Performance Assessment: Does Germany provide good access to healthcare? Eur J Public Heal 2022;32(Supplement_3):ckac131.117. doi: https://doi.org/10.1093/eurpub/ckac131.117

  15. Hengel P, Achstetter K, Blümel M, et al. Health system efficiency in Germany: results of a pilot study to assess health system performance. Eur J Public Heal 2022;32(Supplement_3):ckac131.024. doi: https://doi.org/10.1093/eurpub/ckac131.024

  16. Busse R, Achstetter K, Blümel M, et al. Pilotierung einer systematischen Messung der Leistungsfähigkeit und Effizienz des deutschen Gesundheitssystems (Health System Performance Assessment - HSPA): Manual zur dauerhaften und kontinuierlichen Durchführung eines HSPA in Deutschland - überarbeitete Fassung, Stand Januar 2024. Published Online First: 2024. https://nbn-resolving.org/urn:nbn:de:0168-ssoar-94428-8

  17. Busse R, Achstetter K, Blümel M, et al. Kurzbericht zum BMG-geförderten Forschungsvorhaben: Pilotierung einer systematischen Messung der Leistungsfähigkeit und Effizienz des deutschen Gesundheitssystems (Health System Performance Assessment – HSPA). Published Online First: 30 September 2023. https://www.bundesgesundheitsministerium.de/fileadmin/Dateien/5_Publikationen/Ministerium/Berichte/Kurzbericht_HSPA.pdf

  18. Busse R, Achstetter K, Blümel M, et al. Pilotierung einer systematischen Messung der Leistungsfähigkeit und Effizienz des deutschen Gesundheitssystems (Health System Performance Assessment - HSPA): Zweiter Bericht - überarbeitete Fassung; Stand Januar 2024. Published Online First: 2024. https://nbn-resolving.org/urn:nbn:de:0168-ssoar-94426-7

  19. Donabedian A. Evaluating the Quality of Medical Care. Milbank Q 2005;83(4):691–729. doi: https://doi.org/10.1111/j.1468-0009.2005.00397.x

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