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Lecanemab und Donanemab: Hoffnung, Hype oder Überforderung?
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Lecanemab und Donanemab: Hoffnung, Hype oder Überforderung?

Mit Thomas Duning, live vom DEGAM-Kongress

Selten hat die Einführung neuer Arzneimittel so viel mediale Aufmerksamkeit erzeugt wie die jüngste Zulassung von Lecanemab (Leqembi) und Donanemab (Kisunla). Am Donnerstagmittag, 2. Oktober, haben wir beim 59. DEGAM-Kongress in Hannover darüber gesprochen – und live mit Publikum diese Episode des EvidenzUpdate-Podcasts aufgezeichnet. Großer Dank an unseren Special Guest Thomas Duning, Chefarzt der Klinik für Neurologie am Klinikum Bremen-Ost. Und großer Dank an alle Teilnehmenden für das angeregte Gespräch!

Plus für alle hier: die Zusammenfassung, die Literatur und die Live-Shownotes:

2025 10 01 Degam Kongress Live Shownotes
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Thomas Duning beschreibt seine Haltung als vorsichtig optimistisch: „Ich bin hoffnungsfroh, natürlich mit Skepsis gepaart. Aber der therapeutische Ansatz ist klug – das Immunsystem markiert und räumt das ab, was die Krankheit antreibt. Das funktioniert ganz gut.“ Heilung sei das nicht, betont er, doch immerhin ein relativer Fortschritt.

Martin Scherer zeigt sich hin- und hergerissen. Er versteht, warum ein solcher Hype entstanden ist: „Es gibt nicht viele Medikamente, die es sofort in die Tagesthemen schaffen.“ Doch hinter der Euphorie steht für ihn eine noch tiefere Dimension: „Die Demenzangst ist gespeist aus der Angst vor der Selbstauflösung in vivo. Davor fürchten sich viele mehr als vor dem Tod selbst.“ Hoffnung und Ängste mischen sich also, und genau hier liegt der Reiz, aber auch die Gefahr der neuen Präparate.

Die Zulassungsdaten – klein, aber signifikant

Für Lecanemab war die Clarity-AD-Studie entscheidend: rund 1.700 Proband:innen, randomisiert, Beobachtung über 18 Monate. Ein Outcome: Der kognitive Score CDR-Sum of Boxes (CDASB) nahm unter Lecanemab etwas weniger ab als unter Placebo, die Differenz betrug –0,45 Punkte. ARIA-Ereignisse (Ödeme, Mikroblutungen) betrafen unter Verum jede vierte Person.

Ähnlich zu Donanemab: In der Trailblazer-Alz-2-Studie mit rund 1.700 Personen zeigte sich eine Differenz von –0,7 Punkten. Auch hier: Jeder Vierte erlitt Nebenwirkungen. Und bemerkenswert: In Subgruppen wie Frauen, Menschen unter 65 oder Europäern/Asiaten ließ sich kein signifikanter Effekt nachweisen. Nößler: „Bei Frauen funktioniert es nicht.“

Duning widerspricht vorsichtig. Die Subgruppen seien schlicht zu klein, um valide Aussagen zu treffen: „Die Supplementdaten sind unterpowered. Wir werden Frauen natürlich behandeln.“ Für ihn überwiegt die Hoffnung, dass man tatsächlich einen krankheitsmodifizierenden Ansatz hat – auch wenn er betont, dass die heute klinisch relevanten Stadien vermutlich schon das „Endstadium“ der neurodegenerativen Prozesse darstellen.

Biomarker und die Suche nach den Richtigen 🧪

Eines der zentralen Themen ist die Frage, wie man geeignete Patient:innen überhaupt findet. Martin Scherer bringt hier seine berühmte Auto-Analogie ins Spiel: „Amyloid ist der Zündschlüssel. Tau ist der laufende Motor. Und die Neurofilament-Leichtketten sind die Bergabfahrt.“ Diese Metapher verdeutlicht die Stadien der Pathophysiologie – und warum die Diagnose so komplex ist.

Für die Praxis schlägt Scherer ein vierstufiges Case-Finding vor:

  1. Opportunistische Anlässe, etwa durch Hinweise von Patient:innen oder Angehörigen.

  2. Blick auf Risikofaktoren wie kardiovaskuläre Erkrankungen, Diabetes oder Depression.

  3. Einsatz von Bluttests, sobald sie etabliert sind.

  4. Überweisung in die spezialisierte Diagnostik.

Duning unterstützt diesen Ansatz ausdrücklich: „Die Filterfunktion der Hausärzte ist total wichtig.“ Er ergänzt: Digitale Tools könnten in Zukunft helfen, und es brauche „Fast Tracks“ für die spezialisierten Zentren, damit selektierte Patient:innen nicht monatelang auf Termine warten.

Kostenlawine und ökonomische Fragen 💰

Ein weiterer Schwerpunkt: die Kosten. In den USA liegen die Preise bei rund 26.000 bis 32.000 Dollar pro Jahr, in Deutschland bei etwa 24.000 Euro pro Patient. Hochgerechnet auf die geschätzten 20.000 Patient:innen, die infrage kommen, ergibt das fast eine halbe Milliarde Euro jährlich – nur für das Medikament. „Das ist eine halbe Milliarde Euro – in einer Zeit, in der über den Wegfall von Pflegegrad 1 diskutiert wird“, sagt Horst Christian Vollmar.

Scherer stimmt ein: „Das stellt die Frage nach der gesundheitsökonomischen Verhältnismäßigkeit. Und das in einer Zeit, wo die Mittel der GKV knapper als knapp sind.“

Duning hält dagegen. Ja, die Summen seien dramatisch. Aber: „Wir haben eines der teuersten Gesundheitssysteme der Welt. Und für ein Präparat, das nur wenige betreffen wird, finde ich es relativ günstig.“ Zudem müssten solche Therapien an ethischen Maßstäben gemessen werden – ähnlich wie in der Onkologie, wo für wenige Monate Überlebenszeit deutlich teurere Medikamente zugelassen würden.

Skepsis aus dem Publikum 👩‍⚕️

Hanna Kaduszkiewicz erinnert sich bei der jetzigen Diskussion an die Debatten um die Cholinesterase-Hemmer vor 20 Jahren: „Damals war es quasi ein Verbrechen, überhaupt gegen sie zu sein. Heute stehen wir wieder an derselben Stelle.“

Ihre Mahnung: „Es ist wichtig, nicht die Medikamente zu verdammen, aber sehr kritisch zu prüfen, wem sie wirklich etwas bringen. Und sofort mit Begleitforschung in der Praxis zu beginnen.“

Strenge Indikation und enorme Logistik 🏥

Duning beschreibt, wie streng die Kriterien für die Anwendung sind: Nur Patient:innen mit leichter Erkrankung oder MCI kommen infrage, und sie müssen eine Biomarker-gestützte Alzheimerdiagnose haben. ApoE4-homozygote Menschen werden ausgeschlossen, ebenso Patient:innen mit Mikroblutungen im MRT.

Außerdem fordert die Zulassung ein engmaschiges Monitoring: Fünf MRTs, verteilt auf den Beginn und die ersten Monate der Therapie. Duning betont: „Das ist administrativ aufwendig. Und das wird in Deutschland nur funktionieren, wenn Hausärzte, Fachärzte und Zentren eng zusammenarbeiten.“

Patientenperspektive: Aufwand vs. Gewinn ⏳

Ein weiterer Aspekt ist die Belastung für die Patient:innen selbst. Eine portugiesische Studie kalkulierte allein für Infusionen und Kontrollen einen Zeitaufwand von 104 Stunden pro Jahr – das sind fast drei Arbeitswochen.

Scherer: „Wenn ich dadurch sechs bis acht Monate Autonomie gewinnen kann, muss das in die partizipative Entscheidungsfindung einfließen. Aber man darf nicht vergessen: Das ist ein Wettlauf gegen die Zeit.“

Ausblick: Die Zukunft der Alzheimertherapie 🚀

Duning zeigt sich überzeugt, dass die Antikörpertherapien „nicht mehr umdrehbar“ sind. Er erwartet, dass subkutane Applikationen und vielleicht sogar orale Präparate folgen werden, sodass Hausärzte die Therapie übernehmen können.

Doch das große Problem bleibe: die frühzeitige und verlässliche Identifikation der richtigen Patient:innen. „Die Zukunft liegt in subkutanen Applikationen. Und ich glaube, irgendwann wird es Tabletten geben. Aber die Herausforderung bleibt: die früh Betroffenen zu finden.“

Fazit: Ein Balanceakt

Am Ende herrscht eine vorsichtige Einigkeit. Ja, es ist ein Fortschritt. Ja, es ist gut, dass es die neuen Therapien gibt. Aber sie dürfen das System nicht überlasten, und sie werfen viele Fragen auf – von der Evidenz über die Indikationsstellung bis zur Finanzierung.

Literatur

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  2. EMA. Kisunla: EPAR - Product information. 2025. https://ec.europa.eu/health/documents/community-register/2025/20250924167377/anx_167377_de.pdf (accessed 29 Sept 2025).

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