Bonjour & liebe Grüße „aus“ New Orleans! Vor Ort waren wir zwar (leider) nicht. Wir waren ja beim 13. Tag der Allgemeinmedizin in Hamburg, während gleichzeitig in NOLA die Jahrestagung der American Heart Association (AHA) stattfand. Aber wir haben versprochen, uns dennoch mit der einen oder anderen kardiologischen „Breaking News“ zu beschäftigen, die beim AHA-Meeting vorgestellt wurde. Das machen wir in dieser Episode (aufgezeichnet am 14. November), denn manches aus New Orleans ist unseres Erachtens etwas zu leichtfertig bzw. leichtgläubig und voreilig als Sensation bezeichnet worden. Wie so oft (Achtung, Spoiler) halten solche Einschätzung bei genauerer Betrachtung nicht stand.
Plus für alle hier: die Zusammenfassung unseres Gesprächs und natürlich die Literatur.
Das Plus für alle Unterstützer zu dieser Episode:Schreibt uns: podcast@evidenzupdate.de
Jetzt aber zu den AHA-Papers, und ab sofort gibt es Kapitelmarken:
00:07:05 DASH
00:11:56 DECAF
00:17:47 OCEAN
00:22:53 PERMET
00:26:25 FH-Screening
00:32:31 VESALIUS-CV
00:39:02 CORALreef HeFH
00:45:29 Fazit
Ein Wort zu Fischöl
Aufmerksamen fällt an der Kapitelliste auf, dass wir uns, anders als gewünscht, nicht mit Fischöl und dem krassen PISCES-Trial beschäftigt haben. Das hat einen banalen Grund: Der ist uns durchgeflutscht und hat es, warum auch immer, nicht auf unsere Liste geschafft. Aber die Arbeit und die möglichen Interpretationen sind so bemerkenswert, dass man PISCES eine eigene Episode widmen sollte (Cliffhanger!). Hier einstweilen eine kurze Zusammenfassung der Studie und der Diskussion an anderen Stellen:
PISCES ist ein doppelt-verblindeter RCT in Kanada, der binnen 3,5 Jahren Follow-up bei rund 1.230 Menschen an der Hämodialyse untersucht, ob die Fischöl-Supplementation das Risiko für kardiovaskuläre Ereignisse (inkl. Tod) reduziert (Placebo ist Maiskeimöl).
Das Ergebnis ist krass: 0,31 vs. 0,61 Ereignisse pro 1.000 Patiententage, das macht eine Hazard-Ratio von 0,57 (95% CI 0,47–0,70), eine absolute Risikoreduktion (ARR) von 12,9%, was eine NNT ≈ 8 bedeuten würde.1
Alle Komponenten des Komposit-Endpunkts sind in ähnlicher Größenordnung relativ reduziert (ca. 27–45% für Herz‑Tod, Infarkt, PAVK, Schlaganfall).
Aber: Trotz „halbierter“ kardialer Todesfälle ist die Gesamtmortalität nicht signifikant reduziert (HR ca. 0,89; KI 0,73–1,01).
In einem begleitenden Kommentar2 und von
in Sensible Medicine3 werden viele Fragen aufgeworfen, aber auch überlegt, ob man trotz fehlender Bestätigungsstudie nicht die Fischöl-Gabe erwägen sollte (weil relativ günstig und nebenwirkungsarm). Eine Auswahl der dort besprochenen Gedanken:Die krassen PISCES-Ergebnisse passen nicht zu anderen Fischöl-Studien.
Dass die Endpunkt-Komponenten alle in gleicher Größenordnung reduziert sind, könnte für ein Artefakt sprechen.
Wenn die kardiale Mortalität sinkt, die Gesamtmortalität aber nicht, müssten an anderer Stelle nicht-kardiale Todesursachen zugenommen haben.
Eine Erklärung dafür könnte die Zählung mehrerer Ereignisse pro Proband sein, wonach bspw. Hochrisiko-Personen mehrfach zum Endpunkt beitragen.
Wir bleiben dran an den Fischen! Und damit zu den Arbeiten, die wir besprechen:
DASH – spannend, aber nicht nachhaltig
Die GoFresh-Studie4 zeigt, dass Lebensmittellieferungen nach der DASH-Diät kurzfristig den Blutdruck senken können. Doch sechs Monate nach der Intervention ist der Effekt wieder verschwunden.
180 Erwachsene schwarzer Hautfarbe, Boston, mittleres Alter 46 J.
RCT mit Praxismessungen (!); Intervention: 12 Wochen DASH-Lebensmittel per Lieferdienst + Ernährungsberatung; Kontrolle: 3×500$-Lebensmittel-Vouchers alle 4 Wochen.
Ergebnisse:
syst. RR: –5,7 vs –2,3 mmHg
LDL: –11,4 vs –3,4 mg/dl (bzw. –0,63 vs. –0,19 mmol/l 😘)
BMI, HbA1c: unverändert
Effekt nach 6 Monaten komplett verschwunden.
Ergo: eine kurzfristige Wirkung, sie zeigt das Potenzial von Lebensstil-Interventionen. Aber: Setting-getrieben, kein nachhaltiger Effekt.
Die Studie ist eher eine Machbarkeitsstudie als ein Wirksamkeitsnachweis; methodisch sauber, aber von begrenzter Übertragbarkeit (nur Menschen schwarzer Hautfarbe in Boston). Der Kommentar von Mozaffarian im JAMA5 verweist zurecht auf den wichtigeren Stellenwert von Verhältnisprävention.
Lieber Verhältnisprävention statt Lieferdienstmedizin.
DECAF – Kaffee bei Vorhofflimmern
Die DECAF-Studie6 wirkt wie ein überraschendes Signal zugunsten von Kaffee: weniger Rezidive nach Kardioversion.
200 Erwachsene mit Vorhofflimmern nach Kardioversion.
Open-Label RCT, 6 Monate, 1 Tasse koffeinierter Kaffee/d vs. Abstinenz.
Ergebnis: VHF-/AFL-Rezidiv: 47% vs. 64%, HR 0,61; p=0.01
Das ist ein interessantes Signal, aber hier durch einen Open-Label-Bias gefährdet:
Open-Label → Performance Bias → Erwartungseffekte → Nocebo/Placebo-Dynamik.7 Zudem ist der Effekt zwar interessant, aber nicht robust genug für eine Empfehlung.
Kaffee ist nicht gefährlich – aber therapeutisch nicht validiert.
OCEAN – Rivaroxaban enttäuscht nach Ablation
In der OCEAN-Studie8 zeigt Rivaroxaban keine bessere Wirksamkeit als ASS, verursacht aber erwartungsgemäß deutlich mehr Blutungen. Interessanterweise ist Bayer Sponsor dieser Studie, die deren eigenes Produkt abschießt. Dass diese Daten veröffentlicht werden, finden wir positiv bemerkenswert.
~1.300 Patient:innen, nicht-valvuläres VHF, Ablation >1 Jahr zurück.
Open-Label-RCT, 3 Jahre Follow-up, Rivaroxaban 15 mg vs. ASS 70–120 mg.
Ergebnisse:
Primärer Endpunkt: 5 vs. 9 Ereignisse (nicht signifikant)
Schwere Blutungen: 10 vs. 4 (höher unter Rivaroxaban)
Auch hier gibt es wieder einen methodischen Blindspot, denn das Open-Label-Design kann den Detection Bias erhöhen bei Blutungen und Symptomen. Außerdem wundern wir uns, warum diese Arbeit nicht doppelt verblindet war, was für die Gabe der Prüf- und Kontrollwirkstoffe (Riva vs. ASS) ja ohne Probleme möglich wäre.
Kein Vorteil durch Riva, aber mehr Schaden.
PERMET – Metformin bei pAVK ohne Wirkung
Die PERMET-Studie,9 als einziger voll verblindeter RCT in unserer Episode, prüft, ob Metformin die Gehstrecke bei pAVK verlängert.
~200 Erwachsene, pAVK der unteren Extremitäten, kein Diabetes.
Doppelblind-RCT, 6 Monate, Metformin vs. Placebo, Endpunkt: Verbesserung im 6-Minuten-Gehtest
Ergebnisse: Kein Unterschied.
Trotz spannender biochemischer Rationale (AMPK, mitochondriale Effekte) zeigt sich:
Null Effekt. Damit reiht sich Metformin in die Liste der „Wunderdroge? Wohl kaum“-Studien ein.
Ein sauberer negativer RCT.
FH-Screening – schöne Idee, schlechte Ökonomie
Die Modellierungsstudie von Bellows et al.10 zeigt: Screening auf familiäre Hypercholesterinämie im Kindes- oder jungen Erwachsenenalter ist nicht kosteneffektiv. So schreibt es auch der begleitende Kommentar.11
Hypothetische Kohorte von 4,2 Mio. 10-Jährigen in den USA.
Lebenszeitmodellierung, Prävalenzannahmen, Screening-Szenarien.
Ergebnisse:
~3 Mio. CV-Ereignisse in Lebenszeit
nur ~16.000 durch FH
nur 1.400–1.800 durch Screening vermeidbar (<0,1%)
NNS 3.300–8.000
→ nicht kosteneffektiv
Bemerkenswert finden wir das krass hoch angenommene Lebenszeitrisiko, wonach rechnerisch 3 von 4 Personen ein Ereignis im Leben haben. Mit den Prävalenzdaten hierzulande1213 ist das nicht vereinbar.
Auch ein jüngst im Deutschen Ärzteblatt veröffentlichter Artikel14 zeigt übrigens: Genetisches Screening für FH lohnt sich nicht populationsbezogen.
Wenn FH-Screening, dann nur mittels Kaskade.
VESALIUS-CV – PCSK9-Hemmer für alle?
In der nicht ganz kleinen Studie VESALIUS-CV1516 zur Primärprävention reduziert der PCSK9-Hemmer Evolocumab (Repatha)17 das Risiko für kardiovaskuläre Ereignisse moderat (NNT ~36–56 über knapp 5 Jahre). Doch die Kosten wären enorm: ca. 5.600 €/Jahr18 → 1,6 Mio. €/verhindertes Ereignis.
~12.000 Patient:innen, LDL ≥ 90 mg/dl, keine Ereignisse, überwiegend weiß.
Doppelblind RCT, 4,6 Jahre Follow-up, Evolocumab 140 mg/2 Wochen vs. Placebo
Ergebnisse:
Komposit reduziert: 6,2% vs. 8,0%, NNT 36–56 über 5 Jahre
Sekundäre Endpunkte: teilweise positiv
Methodisch ist die Arbeit gut, die Wirkung ist biologisch plausibel. Aber das Preis-Leistungs-Verhältnis völlig disproportional, man könnte auch sagen: ökonomisch absurd.
Keine Lösung für die breite Versorgung.
CORALreef HeFH – die „Sensation“ als Pille
Die klinische Phase-3-Studie CORALreef HeFH19 zu dem neuen, noch nicht zugelassenen oralen PCSK9-Hemmer ▼ Enlicitide zeigt beeindruckende LDL-Senkungen.20 Aber: sonst nix, keine klinischen Endpunkte, nur Surrogate, nur 24 Wochen Follow-up.
303 Erwachsene mit heterozygoter familiärer Hypercholesterinämie (HeFH), bereits auf Statintherapie (ca. 82% mit Hochdosis).
Phase-3-RCT, Primärer Endpunkt: LDL-Senkung nach 24 Wochen; Sekundäre: 1 Jahr LDL-Verlauf, Non-HDL, ApoB, Lp(a)
Ergebnisse: Alle Surrogate signifikant gesenkt, teils sehr stark (LDL-C nach 24 Wo.: −58,2% vs. +2,6%). Nur: Keine klinischen Endpunkte.
Die Autoren präsentieren eine Laborstory aber keine patientenrelevante Evidenz. Nur: Schönere Laborwerte ≠ besseres Leben. Behauptungen in Publikumsmedien, diese Pille sei eine „Cholesterin-Sensation“, sind mindestens übertrieben, eigentlich aber grober Unfug.
Ein für den Hersteller bilanziell heißes Thema21 – nicht medizinisch, bislang jedenfalls.
Ein Fazit
Wieder einmal ein bekannter Befund: Die zeitgenössische Medizin, hier die Kardiologie, leidet an einer Surrogat-Überbetonung und einem starken Agendasetting durch die Industrie. Viele der AHA-Papers sind methodisch gut, aber klinisch dünn.
Für die Versorgung bleiben, wie so oft, drei sehr bekannte Kernprinzipien:
Signifikanz ist nicht gleich Relevanz.
Je teurer die Therapie, desto wichtiger die Frage: Wer finanziert?
Patient:innen profitieren am meisten von dem, was einfach, dauerhaft und alltagsnah ist (Bewegung, Ernährung, Gespräche, Adhärenz).
Literatur
Lok CE, Farkouh M, Hemmelgarn BR, et al. Fish-Oil Supplementation and Cardiovascular Events in Patients Receiving Hemodialysis. N Engl J Med Published Online First: 2025. doi: https://doi.org/10.1056/nejmoa2513032
Causland FRM, Charytan DM. Fish Oil for Patients Receiving Hemodialysis — Red Herring or Great Catch? N Engl J Med Published Online First: 2025. doi: https://doi.org/10.1056/nejme2515057
Mandrola J. The PISCES Trial -- A Breakthrough or Fishy Win. Sensible Medicine. 2025. https://evide.nz/kDLEp (accessed 11 Nov 2025).
Juraschek SP, Col H, Ferro K, et al. DASH-Patterned Groceries and Effects on Blood Pressure. JAMA 2026;335(1). doi: https://doi.org/10.1001/jama.2025.21112
Mozaffarian D. Medically Tailored Groceries for Blood Pressure Control. JAMA 2026;335(1). doi: https://doi.org/10.1001/jama.2025.20943
Wong CX, Cheung CC, Montenegro G, et al. Caffeinated Coffee Consumption or Abstinence to Reduce Atrial Fibrillation. JAMA 2026;335(4). doi: https://doi.org/10.1001/jama.2025.21056
Schäfer I, Oltrogge JH, Nestoriuc Y, et al. Expectations and Prior Experiences Associated With Adverse Effects of COVID-19 Vaccination. JAMA Netw Open 2023;6(3):e234732. doi: https://doi.org/10.1001/jamanetworkopen.2023.4732
Verma A, Birnie DH, Jiang C, et al. Antithrombotic Therapy after Successful Catheter Ablation for Atrial Fibrillation. N Engl J Med Published Online First: 2025. doi: https://doi.org/10.1056/nejmoa2509688
McDermott MM, Domanchuk KJ, Tian L, et al. Metformin to Improve Walking Performance in Lower Extremity Peripheral Artery Disease. JAMA 2026;335(5). doi:https://doi.org/10.1001/jama.2025.21358
Bellows BK, Zhang Y, Ruiz-Negrón N, et al. Familial Hypercholesterolemia Screening in Childhood and Early Adulthood. JAMA 2026;335(2). doi: https://doi.org/10.1001/jama.2025.20648
Gillman MW. Childhood Cholesterol Screening Is Not Cost-Effective. JAMA 2026;335(2). doi: https://doi.org/10.1001/jama.2025.20945
Gößwald A, Schienkiewitz A, Nowossadeck E, et al. Prävalenz von Herzinfarkt und koronarer Herzkrankheit bei Erwachsenen im Alter von 40 bis 79 Jahren in Deutschland. Bundesgesundheitsblatt - Gesundheitsforschung - Gesundheitsschutz 2013;56(5–6):650–5. doi: https://doi.org/10.1007/s00103-013-1666-9
Busch MA, Schienkiewitz A, Nowossadeck E, et al. Prävalenz des Schlaganfalls bei Erwachsenen im Alter von 40 bis 79 Jahren in Deutschland. Bundesgesundheitsblatt - Gesundheitsforschung - Gesundheitsschutz 2013;56(5–6):656–60. doi: https://doi.org/10.1007/s00103-012-1659-0
Riccio C, Arnold N, Koliopanos G, et al. Prevalence and discrepancy between genotype and phenotype. Dtsch Ärzteblatt Int 2025;122(Forthcoming):511–6. doi: https://doi.org/10.3238/arztebl.m2025.0110
Bohula EA, Marston NA, Bhatia AK, et al. Evolocumab in Patients without a Previous Myocardial Infarction or Stroke. N Engl J Med Published Online First: 2025. doi: https://doi.org/10.1056/nejmoa2514428
Ndumele CE, Blumenthal RS. VESALIUS and the Anatomy of High-Risk Prevention. N Engl J Med Published Online First: 2025. doi: https://doi.org/10.1056/nejme2515447
Repatha® 140 mg Injektionslösung im Fertigpen. Rote Liste. https://www.rote-liste.de/rle/detail/26370/Repatha-R-140-mg-Injektionsloesung-im-Fertigpen (accessed 14 Nov 2025).
Gemeinsamer Bundesausschuss. Nutzenbewertungsverfahren zum Wirkstoff Evolocumab (Erneute Nutzenbewertung § 14: primäre Hypercholesterinämie, gemischte Dyslipidämie). 2018. https://www.g-ba.de/bewertungsverfahren/nutzenbewertung/354/
Ballantyne CM, Gellis L, Tardif J-C, et al. Efficacy and Safety of Oral PCSK9 Inhibitor Enlicitide in Adults With Heterozygous Familial Hypercholesterolemia. JAMA 2026;335(2). doi: https://doi.org/10.1001/jama.2025.20620
O’Donoghue ML, Marston NA. Beyond Statins—Expanding the Arsenal of Lipid-Lowering Therapies. JAMA 2026;335(2). doi: https://doi.org/10.1001/jama.2025.20965
MSD. Merck’s Enlicitide Decanoate, an Investigational Oral PCSK9 Inhibitor, Significantly Reduced LDL-C in Phase 3 CORALreef Lipids Trial. 2025. https://www.merck.com/news/mercks-enlicitide-decanoate-an-investigational-oral-pcsk9-inhibitor-significantly-reduced-ldl-c-in-phase-3-coralreef-lipids-trial/













