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Kolorektales Karzinom: Die neue S3-Leitlinie im Evidenz-Check
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Kolorektales Karzinom: Die neue S3-Leitlinie im Evidenz-Check

Sigmo vs. Kolo – und jetzt mit DEGAM-Nachsorge-Bremse

Hallihallo! Nach der Präventionsepisode legen wir mit

noch einen nach und bleiben ein Stück im Thema: Wie schon öfters angecliffhangert, kommt hier und heute endlich unser Gespräch über die Version 3.0 der S3-Leitlinie Kolorektales Karzinom. Auch die Miezekatze ist wieder am Start und hat einen „Textmarker“ dabei.

Und gleich zu Beginn noch ein Maibaum’scher Lektüretipp, dieses Mal: Sorge dich nicht – lebe! von Dale Carnegie, auf Deutsch bei S. Fischer erschienen.

Plus für alle hier: die Zusammenfassung unseres Gesprächs und natürlich die Literatur.
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Jetzt aber zur Leitlinie: Die hatte schlappe 1.182 Endnoten. Natürlich habe wir alle durchgearbeitet. Nein! Thomas Maibaum hat aber eine Idee für den Literaturwucher in Leitlinien-Updates: Es fliegt einfach keine raus, die einmal drin war. Das erinnert und an das große De-Implementation-Thema.

Wir nehmen uns drei Kapitel vor: die Primärprävention (Kapitel 3), Früherkennung (Kapitel 4 ff.) und die Nachsorge (Kapitel 11). Für alle, die es ganz eilig haben, hier die wesentlichen Empfehlungen, über die u.a. wir in der Episode reden:

Unser Gespräch in Kürze

Die neue S3-Leitlinie Kolorektales Karzinom (Version 3.0 vom September 2025) ist gewaltig. Wir nennen sie liebevoll eine „Garage voller Kisten“: Was einmal im Literaturverzeichnis steht, wird selten wieder ausgeräumt. Die riesige Zahl der Endnoten beeindruckt, birgt aber auch Risiken.

Nur: Die Masse der Endnoten garantiert erst einmal überhaupt nichts. Eine Überfülle an Zitaten kann verwirren, Relevanz verschleiern und sogar kontrafaktische, also Fehlzitationen begünstigen. Und kaum jemand kann und wird es mehr nachprüfen. Unser Plädoyer, einmal mehr: less ist more, mehr Fokus auf Kernbotschaften statt Textwüste. Empfehlungen nur dort, wo es belastbare Belege gibt.

Konsolidierung statt Revolution

In der Primärprävention hat sich wenig geändert – und genau das ist eigentlich eine gute Nachricht. Die Leitlinie bestätigt, was Usus ist:

  • Bewegung

  • Nichtrauchen

  • wenig Alkohol

  • pflanzenbasierte Ernährung

  • ein gesundes Körpergewicht

Mehr brauche es nicht, jedenfalls nicht für bei fehlender Symptomatik. Es gibt keine kardiovaskuläre Lebensstilphilosophie und keine kolorektale. Es gibt nur eine gesunde Lebensweise.

Auch anhand dieser Leitlinie fällt uns wieder auf, was uns allen viel öfter auffallen sollte, aber etwas aus der Mode gekommen scheint: die Abgrenzung zwischen Menschen ohne Symptome und „Patient:innen“. Leitlinien produzieren oft riesige präventive Kapitel (weil sie es gut meinen) für Menschen, die gar nicht krank sind. Das kann, wie wir unter dem Stichwort „Wir behandeln die Falschen“ besprochen haben, zu medizinischer Überheblichkeit führen – und zwar im doppelten Wortsinne, wenn die Versorgung sich an der schieren Menge generierter Morbidität überhebt.

NordICC bringt Bewegung in die Kolo-Frage

Die Leitlinie hat die Ergebnisse der NordICC-Studie (2022) integriert und das verändert das Kräfteverhältnis im Screening.

Kernaussagen

  • Die Vorsorgekoloskopie zeigt keinen nachweisbaren Vorteil auf die Gesamtmortalität.

  • Auch für die krebsspezifische Mortalität ist der Nutzen wahrscheinlich gering.

  • Die Sigmoidoskopie hingegen zeigt in mehreren Studien robuste Mortalitätsvorteile.

Daher rückt letztere als valide Alternative wieder stärker in den Fokus.

Screening-Intervalle

  • Startalter: 50 Jahre (Empfehlung 4.1)

  • iFOBT: alle 1–2 Jahre

  • Nach unauffälliger Koloskopie: keine Wiederholung innerhalb von 10 Jahren

  • Literatur legt nahe: 15 Jahre wahrscheinlich ausreichend, sofern kein genetisches Risiko besteht

  • Sigmoidoskopie: alle 5 Jahre (basierend auf Studiendesign)

Nachsorge: nüchtern, solide

Im Kapitel 11 zur Nachsorge fällt das bekannte Schema 1-5-5 auf, aber auch das Sondervotum der DEGAM, das in Tabelle 17 mit einem Sternchen ausgewiesen ist. Generell empfiehlt die Leitlinie:

  • Nachsorge über 5 Jahre,

  • regelmäßige abdominale Sonografien,

  • ergänzt um CT und Koloskopien in festen Intervallen.

Das Problem: Diese Empfehlungen decken sich nicht mit der Evidenzlage. Da gibt es etwa einen aktuellen Cochrane-Review und eine kanadische Leitlinie. Beide zeigen, dass für eine Nachsorge über mehr als 3 Jahre bislang kein Nutzenbeleg existiert. Bemerkenswert: Für die in Deutschland verbreitete Abdomensonografie existiert keinerlei Evidenz. Mögliche Folgen unnötiger Sonografie liegen auf der Hand:

  • Zufallsbefunde („klassische Nierenzyste“),

  • weitere Kontrollen,

  • unnötige Sorgen,

  • unnötige diagnostische Ketten (vom „Hölzchen aufs Stöckchen“),

  • Belastung fürs Gesundheitssystem und für Patient:innen.

Und warum ist es dann trotzdem Versorgungsalltag? Zwei Vermutungen:

  1. Absicherungsbedürfnis: ein starkes Motiv in der Versorgung.

  2. Harmonisierung: fast alle anderen Krebsleitlinien haben ebenfalls 5 Jahre; Einheitlichkeit wirkt für Praxen und Patient:innen „einfacher“.

Das DEGAM-Votum formuliert eine Alternative:

  • 3 Jahre Nachsorge (durch Evidenz gedeckt),

  • Sonografie nur, wenn man sie unbedingt machen will,

  • ansonsten reichen eine Koloskopie nach 1 Jahr und noch einmal nach 5 Jahren,

  • CT:

    • entweder bei 1 und 5 Jahren,

    • oder einmalig nach 18 Monaten.

Und ob die CEA-Bestimmung einen zusätzlichen Effekt bringt, ist sehr unwahrscheinlich. Siehe auch Cochrane und die kanadischen Leitlinie.

Unterm Strich

Wie so oft kommen wir zur Deduktion, können wir aus dem Konkreten (hier der S3-Leitlinie) auf etwas Allgemeines schließen (ein medizinisches Spannungsfeld):

  • Keine Evidenz für engmaschige Diagnostik,

  • aber das Bedürfnis nach Ordnung und Übersicht.

Dennoch sollten gelten: Wenn es keine ausreichenden Argumente für den Vorteil einer Untersuchung gibt, muss man die Kirche im Dorf lassen.

Das führt uns zu einem oftmals vernachlässigten Ziel, nämlich Entängstigung:

  • Wer nicht mehr dauerhaft als Krebspatient:in behandelt wird,

  • kann psychisch wieder zurück ins Leben finden.

  • Das gelingt nur, wenn Diagnostik nicht verlängert wird.

Literatur

  1. Leitlinienprogramm Onkologie (Deutsche Krebsgesellschaft, Deutsche Krebshilfe, AWMF). Kolorektales Karzinom, Langversion 3.0, AWMF-Registernummer: 021-007OL. 2025. https://www.leitlinienprogramm-onkologie.de/leitlinien/kolorektales-karzinom/ (accessed 13 Oct 2025).

  2. Bretthauer M, Løberg M, Wieszczy P, et al. Effect of Colonoscopy Screening on Risks of Colorectal Cancer and Related Death. N Engl J Med 2022;387(17):1547–56. doi: https://doi.org/10.1056/nejmoa2208375

  3. Bretthauer M, Wieszczy P, Løberg M, et al. Estimated Lifetime Gained With Cancer Screening Tests. JAMA Intern Med 2023;183(11):1196–203. doi: https://doi.org/10.1001/jamainternmed.2023.3798

  4. Gemeinsamer Bundesausschuss. Richtlinie für organisierte Krebsfrüherkennungsprogramme - oKFE-Richtlinie. 2025. https://www.g-ba.de/richtlinien/104/

  5. Jeffery M, Hickey BE, Hider PN. Follow‐up strategies for patients treated for non‐metastatic colorectal cancer. Cochrane Database Syst Rev 2019;2019(9):CD002200. doi: https://doi.org/10.1002/14651858.cd002200.pub4

  6. Kennedy E, Zwaal C, Asmis T, et al. An Evidence-Based Guideline for Surveillance of Patients after Curative Treatment for Colon and Rectal Cancer. Curr Oncol 2022;29(2):724–40. doi: https://doi.org/10.3390/curroncol29020062

  7. Nößler D, Scherer M. Krebsnachsorge – wie weit sollen Screenings gehen? EvidenzUpdate. 2025. https://www.evidenzupdate.de/p/krebsnachsorge-wie-weit-sollen-screenings

  8. Carnegie D. Sorge dich nicht - lebe! FISCHER Taschenbuch 2011. https://www.fischerverlage.de/buch/dale-carnegie-sorge-dich-nicht-lebe-9783596190560

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