In den Praxen der Ärztinnen und Ärzte kommt Paxlovid® (Nirmatrelvir/Ritonavir) bei COVID-19 zunehmend zum Einsatz Damit wächst auch die praktische Erfahrung, die uns auch per Zuschriften erreicht. In dieser Episode greifen wir erste Hinweise auf.
Und wir sprechen über das Spannungsfeld von Evidenz vs. Realität am Beispiel der digitalen rektalen Untersuchung (DRU). Und über unsere letzte, sehr kurze Episode.
Literatur
BR. Der neue Klavierpodcast mit Igor Levit und Anselm Cybinski: Alles wird anders – Variationen | BR-Klassik. www.br-klassik.de. https://www.br-klassik.de/aktuell/news-kritik/igor-levit-variationen-klavier-podcast-100.html (accessed 31 Mar 2022).
Transkript
Nößler: Zwei Wochen war jetzt Pause in unserem Podcast und die beiden letzten Folgen davor, die waren für manche Hörerinnen und Hörer offenbar verstörend, jedenfalls hat uns einiges an Post dazu erreicht. Zeit für eine Besprechung. Und damit herzlich willkommen zu einer neuen Episode vom EvidenzUpdate Podcast. Wir, das sind ...
Scherer: Martin Scherer.
Nößler: Präsident der Deutschen Gesellschaft für Allgemeinmedizin und Familienmedizin der DEGAM und Direktor des Instituts und Poliklinik für Allgemeinmedizin am UKE in Hamburg. Und hier auch am Mikrofon ist Denis Nößler, Chefredakteur der Ärzte Zeitung aus dem Haus Springer Medizin. Moin nach Hamburg, Herr Scherer!
Scherer: Moin nach Neu-Isenburg. Hallo, Herr Nößler.
Nößler: Hallo. Herr Scherer, wie waren eigentlich Ihre letzten beiden Wochen, zwei Wochen, ja so ganz ohne Podcast-Aufzeichnung?
Scherer: Leer, absolut leer. Da fehlt natürlich etwas. So eine Podcast-Woche oder eine Podcast-Episode strukturiert natürlich die ganze Woche.
Nößler: Genau.
Scherer: Mit Vorbereitung, Nachbereitung und da fehlt dann etwas, ist klar.
Nößler: Und die Aufzeichnung nicht vergessen.
Scherer: Genau.
Nößler: Wie ist das eigentlich? Hören Sie selbst auch Podcast? Jetzt sind Sie ja nun seit zwei Jahren Podcaster, aber konsumieren Sie auch den einen oder anderen mal selbst?
Scherer: Nicht regelmäßig. Ich bin eher der, der liest. Beim Lesen kann man sich schneller einen Überblick verschaffen. Ich würde gerne mehr Podcasts hören, zum Beispiel den von Igor Levit Da gibt es bei Bayern Classic den Klavierpodcast mit Igor Levit und Anselm Cybinski.
Nößler: Ach was.
Scherer: Sehr schön, sehr spannend, aber es fehlt dann halt die Zeit. Man muss es dann vielleicht beim Joggen machen.
Nößler: Ja, das machen in der Tat einige Hörerinnen und Hörer, das kriegen wir aus dem Feedback ja mit. Aber das mit Igor Levit Podcasts ist ein Tipp, das machen wir mal in die Shownotes rein. Vielleicht ist das ja auch für die einen oder anderen interessant. Tatsächlich, ja, Podcasts sind jetzt kein so unanspruchsvolles Format. Sie brauchen spezielle Räume, spezielle Orte, an denen man sie idealerweise konsumieren kann und Sie brauchen hin und wieder auch Zeit. Und am Ende geht es ja um ein Gespräch, nicht einfach nur um die schnelle Information. Und tatsächlich, zu der vorletzten Episode mit Daniel Kalanovic über Paxlovid, Sie erinnern sich, das waren ja 80 Minuten, die wir da im Kasten hatten. Ich glaube, das ist fast Top 1 bei uns von der Länge. Und da hat uns ein Hörer geschrieben, ganz knapp und kurz: Das dauert für eine schnelle Information viel zu lange. Das kann ja ein Podcast auch nicht leisten, Herr Scherer, oder?
Scherer: Was helfen würde, wäre natürlich ein Transkript. Wir haben das zum Jahreswechsel, glaube ich, auch versprochen, dass wir Transkripte mitliefern unterhalb der Shownotes oder zwischen Shownotes und Podcasts, sodass man, bevor man tiefer reinhört, schon einmal überfliegen kann. Das können manche sehr gut, dass sie auch größere Textmengen einfach mal so durchscreenen können, um zu sehen: Steckt da etwas drin, was ich mir vielleicht noch mal genauer anhöre? Oder ich gucke mir das Transkript an und höre dann vielleicht etwas selektiv. Also da haben wir vielleicht noch eine Baustelle, dass wir zeitnah die Transkripte mitliefern.
Nößler: Da haben Sie jetzt ganz tief in eine Wunde reingepackt bei mir. Ich mache mal hier mea culpa. Das liegt tatsächlich an einem Verabsäumen in der Redaktion. Ich gelobe an dieser Stelle hoch und heilig Besserung, dass wir die Transkripte schneller beischaffen und da reinbringen. Es wird immer nur mit Zeitverzögerung gehen, aber hier noch mal Arbeitsauftrag unbedingt: Das machen wir.
Scherer: Wir haben ja bald Ostern, da werden Sünden vergeben.
Nößler: Das heißt, wir schauen, dass wir bis Ostern die Transkripte nachlegen und dann sind diese Sünden jedenfalls vergeben. Aber bleiben wir noch mal dabei: 80 Minuten haben wir über Paxlovid gesprochen, hat auch ein anderer gesagt, der offenbar doch regelmäßig unsere Episoden hört. Der sagte dann auch, das schafft man nicht, 80 Minuten. Selbst, wenn man sie hören möchte und nicht lesen, selbst, wenn man Podcast-Fan ist, 80 Minuten ist zu viel. Zitat: Das schaffen fast alle nicht, ohne Familie, Freizeit oder Patienten zu vernachlässigen. Das wollen wir ja nicht. Haben wir es mit Paxlovid ein bisschen übertrieben?
Scherer: Es ging ja nicht nur um Paxlovid, sondern auch um das Aufeinandertreffen von Medizin und Pharmaindustrie. Es ging um Sekundärinteressen, um Wissensvermittlung und das war nicht ohne Risiko für beide Seiten. Da musste genau abgewogen werden, was man sagt. Und das geht natürlich nicht so gut, wenn jemand mit einer Stoppuhr danebensteht. Auf der anderen Seite ist natürlich immer wieder die Gefahr groß, dass man ins Schwafeln gerät. Also insofern nehme ich solche Rückmeldungen, die in die Richtung gehen, natürlich ernst.
Nößler: Vielleicht noch mal ein Tipp für die Hörerinnen und Hörer: Ein großer Vorteil von so nonlinearen Medienformaten, wie eben Podcast, ist ja, dass man auch einfach auf die Pausetaste drücken kann und ein paar Tage später weiterhören kann. Wäre ja auch eine Idee, Herr Scherer.
Scherer: Dass man es sozusagen fraktioniert hört und das macht man ja/
Nößler: So wie Heparin, genau.
Scherer: Das macht man ja mit Serien auch. Also manche Menschen mögen ja Netflix und dann schaut man halt mal nur eine halbe Folge, klar. Hier hört man einfach mal nur eine halbe Folge. Ist eine Möglichkeit.
Nößler: Okay. Ich bin ein großer Fan des Fußball-Podcasts Collinas Erben. Die Folgen gehen teilweise vier, fünf Stunden. Und die fünf Stunden, die kann man teilweise nicht am Stück hören. Das geht nicht. Da muss man dann immer wieder absetzen und setzt man noch mal an. Bleiben wir bei Paxlovid, weil da gab es eben tatsächlich auch ja inhaltliche Zuschriften, inhaltliche Fragestellungen, auch Kritik. Wir können es ja mal so ein bisschen schrittweise durchgehen. Und zwar gab es tatsächlich eine Zuschrift von einem Kollegen von Ihnen. Wir bleiben hier mal im generischen Maskulin und damit sind alle Geschlechter mitgemeint an der Stelle. Wir müssen es ja auch ein bisschen anonym machen. Wir wollen ja hier nicht irgendwie irgendeine Schweigepflicht untergraben. Und da gab es den Hinweis, da wurden schon tatsächlich, bei zwei Patienten wurde Paxlovid verordnet und in der Zuschrift heißt es dann, dass man wirklich aus dieser praktischen Erfahrung gut eine Stunde pro Verordnung am Ende gebraucht hat für den Medikationscheck. Also offenkundig liegt da eine Multimedikation vor. Das Gespräch, also die Aufklärung, das hatten Sie auch thematisiert, Herr Scherer, und natürlich die besondere Art der Verordnung. Das läuft ja über den Kostenträger BAS. Dann muss man sich mit der Apotheke abstimmen, die kriegen das ja nach Hause geliefert. Eventuell muss man Angehörige mit ins Boot holen, die dann bei der Gabe behilflich sein müssen. Denen muss man das Schema erklären. Und er hatte zwei Kasuistiken genannt, dieser Hörer, und zwar hat einmal eine adipöse 83-jährige Person mit Diabetes, Insulinpflicht, Herz- und Niereninsuffizienz, Zustand nach einem Kolonkarzinom. Zweiter Patient ähnlich alt, 81 Jahre, auch adipös, Zustand nach Lungenembolie, Vorhofflimmern, Wegnerschen Granulomatose und Herzinsuffizienz. Und er sagte, also da ist eine Menge, Menge Arbeit und eigentlich kriegt man das nur hin, wenn man selbst sehr engagiert ist. Diese Verordnung geht nur, wenn man wirklich Bock dadrauf hat, so fasse ich es mal zusammen. Im Zweifel würde man, zitiert er hier, die fünfte Regel vom House of God in Erwägung ziehen, nämlich erst mal in die Klinik verlegen. Und würden Sie sagen, Sie haben ja seinerzeit auch gesagt, das ist eine Reservearznei, würden Sie dieser Einschätzung so zustimmen, dass Sie sagen, die Art und Weise, wie diese Arznei funktioniert, ist ein Problem, ist eine echte Challenge in der Praxis?
Scherer: Das genau haben wir versucht herauszuarbeiten, deshalb hat der Podcast auch so lange gedauert. Wenn es zwischen Herrn Kalanovic und mir inhaltlich ein bisschen geknirscht hat, dann war das genau an der Stelle, wo ich versucht habe zu verdeutlichen, dass es sich hier nicht um einen Gamechanger handelt, sondern eher um ein Reservemedikament. Und Herr Kalanovic deutlich machen wollte: Mensch, es gibt so viele Menschen in den Krankenhäusern, die müssten da jetzt nicht liegen, wenn sie alle Paxlovid bekommen hätten. Und das Problem, warum das alles nicht so funktioniert, ist genau der Aufwand in der Praxis, dieses sehr diffizile Abklären der Komedikation. Das habe ich versucht zu verdeutlichen. Und was der Hörer, die Hörerin da schreibt, geht genau in diese Richtung und bestätigt eigentlich das, was wir da besprochen haben.
Nößler: Okay, also 80 Minuten, da haben wir so ein bisschen versucht nachzuempfinden, wie aufwendig das im Zweifel in der Praxis ist, sagen Sie. Also hier haben wir tatsächlich auch noch mal zu dem, was besprochen wurde, Stichwort Evidence meets Reality, diesen Erfahrungsbericht vom eigenen Schreibtisch, der das quasi bestätigt, was da besprochen wurde. Wir bleiben bei Paxlovid, Herr Scherer. Wir haben da ja eine Menge rumgerechnet. Das ist so üblich bei uns im Evidenz-Update, dass wir absolute Risikoreduktionen ausrechnen, Number needed to irgendwas, relative Risikoreduktion gegenüberstellen. Und da gab es eine Zuschrift, wo es heißt, es sei die Tragweite der Berechnungen, die wir da angestellt haben, nicht ganz deutlich geworden. Ich zitiere das mal: Wenn Paxlovid wirklich bei allen Menschen eine ähnliche relative Risikoreduktion hervorruft, also Betonung ist relativ, und zwar unabhängig von Alter, Corona-Virusvariante und Impfstatus, dann profitiert natürlich der dreifachgeimpfte neunzigjährige Multimorbide immer noch deutlich mehr als der vierzigjährige schlanke Ungeimpfte ohne chronische Erkrankung. Will heißen, 80 Prozent Risikoreduktion ist natürlich bei denjenigen, die eher Risiken haben, mehr als bei denjenigen, die weniger Risiken haben. Würden Sie dem so zustimmen, dass eigentlich, zumindest nach der Statistik, die Älteren diejenigen sind, die profitieren würden, Komma, wenn es in der Praxis nicht zu aufwendig wäre?
Scherer: Ja, auch das ist ja eine Kernbotschaft des Podcast mit Herrn Kalanovic gewesen, dass die Älteren deutlich stärker profitieren, so ab 65, und dass aber auch die Ungeimpften profitieren. Aber natürlich, und das war auch so ein kleiner Merkpunkt in dem Gespräch: Wie groß ist eigentlich die Gruppe derer, die da profitieren, von diesem Medikament? Und natürlich, wie bei dieser gesamten Corona-Thematik überhaupt, sind es die Älteren, um die es hier in allererster Linie geht. Also auch hier d'accord mit der Zuhörerzuschrift.
Nößler: Okay, dann gab es noch, wir bleiben noch für eine Sekunde bei Paxlovid, da gab es tatsächlich auch ein Lob. Auch das darf man uns ja schreiben an Evidenzupdate@Springer.com. Man darf uns auch manchmal loben. Und da schreibt tatsächlich jemand, auch wieder geschlechterneutral an dieser Stelle: Ich finde, es steht unserer DEGAM gut, also offenkundig nicht nur Kollege, sondern Mitglied, zu Gesicht, mit Industrievertretern in direkten Gedankenaustausch und in Diskussion zu kommen. Haben Sie denn auch Feedback zu dieser besonderen Episode bekommen von Kollegen?
Scherer: Ja, es gab mehrere positive Zuschriften, gerade auch zu diesem Thema. Und vielleicht ist das auch eine weitere Ursache oder Begründung dafür, dass der Podcast so lange gedauert hat. Denn wenn so zwei Menschen zusammentreffen aus völlig unterschiedlichen Bereichen, das heißt, einerseits der interessensgeleiteten Herstellung, der Industrie, die völlig klare und legitime und nachvollziehbare Interessen hat und dann jemand aus dem Bereich der interessensneutralen Wissensvermittlung, dann ist das schon eine besondere Situation. Dafür haben wir Wertschätzung bekommen. Und dass das dann auch so lange dauert, das hat damit zu tun, dass man sich ausreden lässt, dass man sich gegenseitig zuhört, dass man auch einmal vormacht, wie so ein von Konstruktivität und Respekt getragener Dialog aussehen kann. Und das dauert ein bisschen, das kann man nicht in einer Viertelstunde machen.
Nößler: Also, wir stellen an dieser Stelle fest, Herr Scherer, das ist eine Take-Home-Message: Diskurs und Dialog brauchen manchmal hinreichend viel Zeit. Und das funktioniert manchmal vielleicht in 80 Minuten etwas besser als in 280 Zeichen auf Twitter, kann das sein?
Scherer: So ist es, genau.
Nößler: Okay.
Scherer: Twitter ist ein gutes Gegenbeispiel, ja.
Nößler: Okay, Podcast versus Twitter. Wir verlassen Paxlovid und jetzt kriegen wir dank einer Hörerzuschrift die Kurve hin zu der Episode, die Sie zusammen mit Ihrem Kollegen Jürgen Herbers gemacht hatten. Da hatten Sie beide gesprochen über den Evidenz, den Nutzen und die praktischen Erfahrungen zu dem Thema Check-up und digitale rektale Untersuchung. Und da haben Sie ja über die verfügbare Evidenz gesprochen. Und ich erinnere mich, wir haben über eine Metaanalyse gesprochen, die zu, naja, prädiktiven Werten, positiv wie negativ, gekommen ist, die man als Würfeln bezeichnen könnte, also die jetzt nicht so eindeutig sind. Und gleichzeitig haben Sie aber gesagt, aus der inneren Evidenz, aus der eigenen klinischen Erfahrung, dass Sie beide, jeder Kollege irgendwie Patienten kennt, wo man ein Karzinom schon mal durch die DRU ertastet hat. Und da gibt es einen Hörer, der schreibt uns tatsächlich, also das, was ihn wundert ist, dass wir auf der einen Seite bei Paxlovid in der Episode, ich zitiere mal, ja die Evidenz auf dem Scherer-Evidenz-Barbecue so richtig gegrillt haben. Also die Zulassungsstudie von Paxlovid und auf der anderen Seite bei dem Thema DRU es ein kleines Geschmäckle gegeben habe, Sie mit zweierlei Maß da vorangegangen sein sollen. Da hat er doch einen Punkt, dieser Hörer.
Scherer: Ja, da hat er auf jeden Fall einen Punkt. Das Scherer-Evidenz-Barbecue hat mir natürlich erst mal ein kleines Schmunzeln entlockt. Aber wir wollen ja nicht aus dem Elfenbeinturm heraus argumentieren. Das ist ja genau die Abwägung, die es braucht und die wir hier immer wieder versuchen in diesem Podcast: Wie fügt sich eine Intervention in den Praxisalltag ein? Natürlich hat er uns ein bisschen ertappt. Es schwang implizit bei Jürgen Herbers und mir mit: Wenn man es kann, ist es gut, also jetzt zum Beispiel bei der digitalen rektalen Untersuchung. Aber Beliebigkeit würde ich dennoch gerne von mir weisen wollen. Und die Zuhörerinnen und Zuhörer wollen, dass wir die Dinge in den Praxiskontext einordnen. Das haben wir bei Paxlovid gemacht, das haben wir bei dem Check-up gemacht und bei der digitalen rektalen Untersuchung. Und viele Interventionen weisen eine große Behandler- beziehungsweise Untersucherabhängigkeit auf, sei es bei dem Hautkrebs-Screening oder bei der DRE, bei der Physiotherapie oder bei der Chiro. Je besser man es kann, das ist völlig klar, desto besser sind dann natürlich auch die Effektstärken oder, wenn es sich um Tests handelt, die Testgütekriterien. Und wenn wir jetzt bei dem Thema Check-up oder bei der digitalen rektalen Untersuchung knallhart evidenzbasiert rangegangen wären und gesagt hätten, so und so mies ist jetzt die Evidenz dafür, dann wiederum hätte man uns Realitätsverlust vorwerfen können angesichts der vielen Dinge, die ihren klaren und begründbaren Platz in der Praxis haben, aber die auch keinen Wirksamkeitsbeleg haben. Also danke noch mal auf jeden Fall an dieser Stelle für das Hineinlegen des Fingers in die Wunde, aber das ist genau das: Wenn man jetzt mit dem großen Evidenzrechen durch die Praxis gehen würde, dann wäre die Wiese danach ganz schön entmoost wahrscheinlich, nicht mehr besonders grün.
Nößler: Wir könnten das ja mal zur Homöopathie machen. Ich will noch ganz kurz bei der DRU bleiben, bei der digitalen rektalen Untersuchung. Sie haben schon gesagt, es kommt natürlich auf die Untersucherqualität an in dem Bereich. Wir hatten das, glaube ich, auch bei dem Hautkrebs-Screening gestreift, diese Thematik, und Ihr Kollege hat in seiner Zuschrift tatsächlich auch uns geschrieben, er stellt da tatsächlich mal eine Hypothese auf, ich nenne es jetzt einfach mal Hypothese. Er sagt, dass Facharztkollegen, gemeint sind werden hiermit Urologen, insgesamt mehr Prostatae tasten und dadurch auch mehr Erfahrung haben dürften. Sie würden mehr Tumore tasten zu dem Staging hin und dadurch auch eher in der Lage sein, durch die Erfahrung einen T2-Tumor schon zu ertasten und nicht erst T3. Würden Sie bei dieser Hypothese mitgehen?
Scherer: Naja, das bestätigt ja in gewisser Weise auch die Untersucherabhängigkeit. Die ist sicherlich gegeben. Jemand, der das oft macht, erzielt bessere Ergebnisse als jemand, der es nicht so oft macht. In jedem Fall ist das etwas, was man machen kann, wenn man es kann. Und wenn man will, kann man das im Rahmen des opportunistischen Screenings dann auch durchführen.
Nößler: Wir werden uns das Thema Untersucherqualität, vielleicht sogar auch Behandlerqualität, das werden wir uns aufheben. Wobei, aufheben müssen wir es gar nicht, es wird immer wieder vorkommen. Wir kennen es ja auch aus der ganzen Mindestmengendebatte, die wir jetzt im stationären Bereich führen. Da geht es immer wieder um das Gleiche und das IQWiG kommt immer wieder zu solchen Erkenntnissen, dass tatsächlich hochvolumige Eingriffe zu Erfahrung führen. Es wird uns wieder begleiten. Herr Scherer, wir wollen heute tatsächlich nur eine kurze Episode mit Hörerpost mal machen, deswegen müssen wir noch eine Folge, nämlich die letzte Folge tatsächlich kurz thematisieren. Da hat uns auch Zuschrift erreicht oder Zuschriften. Und das war die in der Geschichte des Evidenz-Updates, die jetzt ja doch schon zwei Jahre lang währt, die wohl kürzeste Episode, die man sich denken kann. Es war nicht mal eine Minute. Und da haben wir tatsächlich auch Zuschrift bekommen mit Enttäuschung. Da hat uns tatsächlich jemand geschrieben, dass er voller Spannung erwartet habe, ob es denn jetzt Evidenz für Krieg gibt, also quasi Antworten von uns erwartet, dass wir wissenschaftlich basiert mal nach Evidenz forschen für den Nutzen von Krieg und war dann enttäuscht, dass Ihre Antwort im Prinzip einfach nur "nein" war. Es war einfach nur ein Nein. War, jetzt mal Hand aufs Herz, von uns beiden: War dieser Versuch gut gemeint, schlecht gemacht?
Scherer: Das müssen letztlich die Hörerinnen und Hörer entscheiden. Wir haben uns das gut überlegt. Wir haben uns eines besonderen Stilmittels bedient. Ich habe die Befürchtung gehabt, dass manch einer, der nur diesen Kurzpodcast hört von wenigen Sekunden, sich tatsächlich vor den Kopf gestoßen fühlt, wenn er übersieht, dass da drunter noch ein längerer Brief ist, der das einbettet. Aber zusammen mit dem Brief, der das Thema Sprachlosigkeit etwas beschrieben hat und die Frage, wie wir aus der Sprach- und Hilflosigkeit hin zur Sprachfähigkeit und letztlich auch zur Hilfe und zum Handeln kommen, in dieser Kombination mit dem Brief fand ich es dann schon wieder in Ordnung. Aber vielleicht hat dieser enttäuschte Hörer den Brief übersehen, wir wissen es nicht.
Nößler: Gut, dann machen wir an der Stelle schon mal Shownotes und verlinken einfach noch mal den Brief, dass man über die Shownotes dieser Episode direkt da hinkommen kann und noch mal lesen kann, was Martin Scherer da geschrieben hat. Und tatsächlich, man darf ja auch nicht vergessen, die Frage, ob Krieg einen Nutzen hat, sie liegt doch eigentlich auf der Hand, dass es eine Metapher ist, oder?
Scherer: Es ist ein Stilmittel. Es geht vielleicht fast in das Satirische. Aber es liegt auf der Hand, dass Aggression und Gewalt jeder Form und jeder Art keinen Nutzen hat. Das ist, im Grunde genommen haben Sie mir eine rhetorische Frage gestellt.
Nößler: Genau. Gut, Herr Scherer, wollen wir es einstweilen an dieser Stelle, an diesem Punkt damit belassen. Und wer weiß, vielleicht, das Thema wird uns ja wieder treffen an anderer Stelle. Und eventuell müssen und können wir es wieder thematisieren zu anderer Gelegenheit. Das war jetzt heute mal die Episode, wo wir die Hörerinnen- und Hörerpost ein bisschen bearbeitet haben, die uns regelmäßig erreicht, unter anderem an Evidenzupdate@Springer.com. Da sind uns Zuschriften jederzeit sehr herzlich und sehr gerne willkommen. Wir können sie nicht immer sofort persönlich beantworten, aber in jedem Fall binden wir sie dann in eine Episode mit ein. Herr Scherer, jetzt müssen wir natürlich überlegen: Was kommt denn als nächstes im Evidenz-Update? Sie wissen ja: Cliffhanger, nicht wahr?
Scherer: Es ist in Kürze der 1. April. Da beliebt manch einer zu scherzen. Und vielleicht wäre dann die nächste Folge eine, in der man auch mal wieder irgendwas zum Schmunzeln machen kann, vielleicht einen Blick hinter die Kulissen. Wir lassen es offen.
Nößler: Wir lassen es offen. Also, es gibt eine Idee. Die Hörerinnen und Hörer dürfen sich auch überraschen lassen, wir beide uns auch. Herr Scherer, ich bedanke mich für heute an dieser Stelle, dass Sie die Hörerpost so ein bisschen mit mir bearbeitet haben. Und dann wünsche ich Ihnen alles Gute für diese Woche und würde mich freuen, wenn wir uns wieder hören, an gleicher Stelle und auf gleicher Welle.
Scherer: Bis dann. Tschüss.
Nößler: Tschüss.
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