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Krebsnachsorge – wie weit sollen Screenings gehen?
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Krebsnachsorge – wie weit sollen Screenings gehen?

Ein systematischer Review ist ziemlich deutlich

Das neue EvidenzUpdate

Ab sofort hat der Podcast ein neues Zuhause auf www.evidenzupdate.de, die langjährige Zusammenarbeit mit der Ärzte Zeitung haben wir beendet und gehen neue Wege.
Was bleibt: die Kooperation mit der DEGAM, die gewohnte Qualität der Episoden und Auswahl der Themen – und die kostenfreie Ausspielung in allen Podcatchern.
Was wird: Wir werden das EvidenzUpdate ausbauen und neue nützliche Formate entwickeln. Sie dürfen gespannt sein!

Plus für alle Unterstützer zu dieser Episode: Eine Übersicht über die Nachsorge-Empfehlungen in den onkologischen Leitlinien für wichtige Tumorentitäten sowie außerdem das vollständige Transkript der Episode.

Schreiben Sie uns: podcast@evidenzupdate.de

In dieser Episode gehen wir der Frage nach, wann Krebsnachsorge zu viel wird, wie weit man nach einer Tumorerkrankung mit Metastasenscreenings gehen soll. Mithin fragen wir uns: Wie geht man mit Rezidivängsten um? Und wann ist man eigentlich kein Krebspatient mehr?

Anlass für uns ist ein lesenswerter Kommentar der zwei US-Onkologen H. Gilbert Welch und Lesly A. Dossett im New England Journal of Medicine.

Routine Surveillance for Cancer Metastases — Does It Help or Harm Patients?

Wir besprechen einen Review über randomisiert-kontrollierten Studien, die Mortalitätsunterschiede zwischen Screening und Usual Care untersucht hat. Wir haben MEDLINE durchsucht. Und um es vorwegzunehmen, zitieren wir das Fazit von Welch und Dossett:

On the basis of existing data, however, less surveillance would be better for patients.

🎙️ Die Ausgangsfrage

Rund 5 Millionen Menschen in Deutschland leben mit dem „Zustand nach Krebs“ – viele gelten als geheilt, als Cancer Survivors, doch die Sorge vor Rückfällen oder Metastasen bleibt oft ein lebenslanger Begleiter.

und fragen daher: Wann ist man eigentlich kein Krebspatient mehr?
Und: Was bringt die routinemäßige Krebsnachsorge wirklich – und was nicht?


🧠 Medizinisch gesund – psychisch noch krank?

Martin Scherer illustriert das Dilemma anhand einer typischen Brustkrebspatientin: medizinisch alles unauffällig, TNM-Stadium 0, subjektiv gesund – und doch: Rezidivängste, Körperbildveränderungen, psychosoziale Folgen.
🗣️ „Das ‚Z. n.‘ klebt an den Menschen wie Fensterkitt.“

Der „Zustand nach“ bleibt oft dokumentiert, in Arztbriefen, in der Selbstwahrnehmung – und in der ärztlichen Vorsicht. So entsteht ein medizinisches wie emotionales Stigma, das die Patient:innen auf Dauer in der Rolle der Kranken hält.


🩻 Nachsorge: Sicherheit oder Scheinsicherheit?

Scherer warnt vor einem reflexhaften Metastasenscreening ohne klinischen Anlass. Der Wunsch nach Sicherheit – auf Patient:innen- wie Ärzteseite – ist menschlich verständlich, aber oft nicht evidenzbasiert.

📉 Studien wie der systematische Review von Giglio et al. (2021) zeigen:
Intensivere Nachsorge verbessert kaum das Überleben.
In einigen Fällen war die Überlebensrate bei weniger engmaschiger Kontrolle sogar höher.

📊 Auch die Arbeiten von Cui et al. (2023), Cheun et al. (2021) und Galjart et al. (2022) belegen: Für viele Entitäten (z. B. Mamma-, Kolorektal-, Lungenkrebs) fehlt der Nachweis für einen klaren Nutzen einer aufwendigen Nachsorge – oft bringen Screenings eher Belastung, Zufallsbefunde, unnötige Eingriffe.

🗣️ „Überdiagnosen verstärken unnötige Ängste und führen zu unnötigen Behandlungen. Deshalb: less is more – auch bei der Nachsorge.“


📚 Welch & Dossett (NEJM 2025): Ein Plädoyer für Zurückhaltung

Der besprochene Perspective-Artikel kritisiert die onkologische Routineüberwachung asymptomatischer Patient:innen – es fehle der Beleg für einen klinischen Nutzen, aber die Risiken (v. a. psychische Belastung) seien real. Statt Automatismen brauche es:

  • risikoadaptiertes Vorgehen,

  • klinisch begründete Entscheidungen,

  • offene Gespräche über Nutzen und Schaden.


🧭 Ein Dilemma zwischen Evidenz und Empathie

bringt das Dilemma auf den Punkt: Die onkologische Nachsorge ist teuer, mitunter schädlich, oft nutzlos – aber psychologisch bedeutsam. Denn sie bietet Halt, Struktur, eine Anlaufstelle.

Das Ziel müsse sein, nicht weitere Tests, sondern Vertrauen zu schaffen – in den eigenen Körper, in den Alltag, in das Leben danach.

🗣️ „Wie viel Medizin wollen Sie eigentlich noch?“ – eine einfache Frage mit großer Wirkung.


💬 Fazit: Reden hilft

Statt sich in ritualisierter Diagnostik zu verlieren, sollten Ärzt:innen:

  • offen über Ängste und Wünsche sprechen,

  • die psychischen Folgen ernst nehmen,

  • Orientierung und Selbstwirksamkeit fördern.

🗣️ „Loslassen bringt manchmal mehr als Kontrolle.“


🧩 Cliffhanger für die nächste Episode?

Prostata-Ca und Nackenschmerz. Da geht es weiter.

Literatur

  1. Welch HG, Dossett LA. Routine Surveillance for Cancer Metastases — Does It Help or Harm Patients? N Engl J Med 2025;392(17):1667–70. doi:10.1056/nejmp2414159

  2. Giglio V, Schneider P, Madden K, et al. Published randomized controlled trials of surveillance in cancer patients - a systematic review. Oncol Rev 2021;15(1):522. doi:10.4081/oncol.2021.522

  3. Cui L-L, Cui S-Q, Qu Z, et al. Intensive follow-up vs conventional follow-up for patients with non-metastatic colorectal cancer treated with curative intent: A meta-analysis. World J Gastrointest Oncol 2023;15(12):2197–211. doi:10.4251/wjgo.v15.i12.2197

  4. Cheun J-H, Jung J, Lee E-S, et al. Intensity of metastasis screening and survival outcomes in patients with breast cancer. Sci Rep 2021;11(1):2851. doi:10.1038/s41598-021-82485-w

  5. Dührsen U, Deppermann K-M, Pox C, et al. Evidence-based follow-up for adults with cancer. Dtsch Aerzteblatt Online 2019;116(40):663–9. doi:10.3238/arztebl.2019.0663

  6. Caminiti C, Maglietta G, Diodati F, et al. The Effects of Patient-Reported Outcome Screening on the Survival of People with Cancer: A Systematic Review and Meta-Analysis. Cancers2022;14(21):5470. doi:10.3390/cancers14215470

  7. Galjart B, Höppener DJ, Aerts JGJV, et al. Follow-up strategy and survival for five common cancers: A meta-analysis. Eur J Cancer 2022;174:185–99. doi:10.1016/j.ejca.2022.07.025

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