EvidenzUpdate
Evidenz-Update mit DEGAM-Präsident Martin Scherer
Was bringt eigentlich Gesundheitskompetenz?
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Was bringt eigentlich Gesundheitskompetenz?

Nicola Buhlinger Göpfarth und Martin Scherer über Health Literacy

Wer die 116117 kennt, ruft nicht die 112. Wer um den Sinn einer Therapie weiß, ist adhärent. Gesundheitskompetenz scheint intuitiv. Doch was bringt sie wirklich, wie können Ärztinnen und Ärzte sie verbessern? Ein „EvidenzUpdate“ über Health Literacy.

Literatur

  1. Glöckner-Rist A, Barenbrügge J, Rist F. Deutsche Version des Whiteley Index (WI-d). Gesis.org. 2007.https://zis.gesis.org/skala/Gl%C3%B6ckner-Rist-Barenbr%C3%BCgge-Rist-Deutsche-Version-des-Whiteley-Index-(WI-d) (accessed 10 Feb 2022).

  2. Miller TA. Health literacy and adherence to medical treatment in chronic and acute illness: A meta-analysis. Patient Education and Counseling 2016;99:1079–86. doi: https://doi.org/10.1016/j.pec.2016.01.020

  3. Sørensen K, Van den Broucke S, Fullam J, et al. Health literacy and public health: A systematic review and integration of definitions and models. BMC Public Health 2012;12. doi: https://doi.org/10.1186/1471-2458-12-80

  4. Okan O, Bollweg M, Bauer U, et al. Trendstudie zur coronaspezifischen Gesundheitskompetenz Ergebnisse der zweiten Erhebung der HLS-COVID-19 Studie. Published Online First: 2021. doi: https://doi.org/10.4119/unibi/2950307

  5. Sørensen K, Pelikan JM, Röthlin F, et al. Health literacy in Europe: comparative results of the European health literacy survey (HLS-EU). The European Journal of Public Health 2015;25:1053–8. doi: https://doi.org/10.1093/eurpub/ckv043

  6. Jordan S, Hoebel J. Gesundheitskompetenz von Erwachsenen in Deutschland. Bundesgesundheitsblatt - Gesundheitsforschung - Gesundheitsschutz 2015;58. doi: https://doi.org/10.1007/s00103-015-2200-z

Transkript

Nößler: Und damit herzlich willkommen zu einer neuen Episode vom EvidenzUpdate-Podcast. Auch dieses Mal wieder in einer Doppelbesetzung. Wir, das sind ...

Scherer: Martin Scherer.

Nößler: Präsident der Deutschen Gesellschaft für Allgemeinmedizin und Familienmedizin der DEGAM und Direktor des Instituts und Poliklinik für Allgemeinmedizin am UKE in Hamburg. Ich grüße Sie, Herr Scherer, hallo.

Scherer: Hallo Herr Nößler.

Nößler: Und heute ist bei uns ...

Buhlinger-Göpfarth: Nicola Buhlinger-Göpfarth.

Nößler: Sie ist Hausärztin in Pforzheim, Vorstandsmitglied im Hausärzteverband Baden-Württemberg und Professorin für Physician Assistance an der EUFH in Köln. Hallo, Frau Buhlinger-Göpfarth, schön, dass Sie dabei sind.

Buhlinger-Göpfarth: Hallo, ich freue mich über die Einladung und hier zu sein. Danke.

Nößler: Ja, und wir uns auch. Und hier am Mikrofon ist Denis Nößler, Chefredakteur der Ärzte Zeitung aus dem Haus Springer Medizin. Jetzt haben Sie beide schon geschmunzelt, als das Intro kam. Das war heute mal eine etwas andere Form. Diesen Edmond-Stoiber’schen Kompetenz-Kompetenz-Saga, den konnte ich mir einfach nicht verkneifen. Wahrscheinlich müssen wir sagen, das ist noch eines der Zitate von ihm, das inhaltlich wirklich noch korrekt ist. Hat auch nicht so wirklich was mit unserem Thema heute zu tun. Aber ich fand die Häufigkeit von Kompetenz einfach so spannend, weil heute werden wir ganz viel über Kompetenz reden, nämlich über Gesundheitskompetenz. Klingt vielleicht absurd, wenn ich jetzt zwei hausärztlich Tätige frage. Haben Sie beide sich denn jeweils über Ihre eigene Gesundheitskompetenz Gedanken gemacht?

Buhlinger-Göpfarth: Also man macht sich natürlich auch im privaten Bereich, nicht nur im Sinne der Hausarztpraxis, sondern auch im ganz privaten Bereich immer mal wieder Gedanken über die eigene Gesundheitskompetenz, nämlich dann, wenn man mit Krankheit konfrontiert ist. Und das ist man ja auch als Privatperson häufig bei Krankheiten in der Familie. Dann hat man eine professionelle Gesundheitskompetenz als Ärztin und man hat eine familiäre Gesundheitskompetenz zum Beispiel als Mutter. Und da ist schon spannend, wie reagiert man in diesen unterschiedlichen Rollen.

Nößler: Und gibt es da Unterschiede? Bemerken Sie da irgendwas?

Buhlinger-Göpfarth: Ja, die Eigenen soll man ja eigentlich nicht behandeln – heißt ein alter Spruch. Und das ist schon so ein bisschen zutreffend. Andererseits sind gerade Frauen ja die Gesundheitsministerinnen in den Familien. Also der Satz „Hast du dir die Hände gewaschen?“ oder „Hast du dir die Zähne geputzt?, der kommt meistens doch von den Müttern. Die Mütter sind immer noch sehr viel mehr zuständig zum Beispiel für die Ernährung, für das Einkaufen, also für die Versorgung der Familie und auch im Falle von Krankheiten häufiger zuständig immer noch. Und da liegt auch ein Schlüssel zur Steigerung der Gesundheitskompetenz in der Umsetzung, wenn wir die Frauen empowern.

Nößler: Aha, da haben wir schon mal einen Punkt, den heben wir uns auf für gleich. Jetzt würde mich natürlich interessieren, Herr Scherer, wie steht es denn um Ihre Gesundheitskompetenz?

Scherer: Im ersten Moment habe ich gedacht: Warum fragt er mich das jetzt? Das ist ein bisschen, als wenn Sie den Mathelehrer fragen, ob er seine binomischen Formeln kann. Aber das ist wie Nicola Buhlinger-Göpfarth gesagt hat, es gibt halt unterschiedliche Dimensionen der Gesundheitskompetenz, natürlich die professionelle. Da habe ich 2004 mit angefangen in Göttingen, Allgemeinmedizin zu unterrichten. Und seitdem befasse ich mich mit Versorgungsfragen. Von 2009 bis 2011 hatte ich eine Professur für Sozialmedizin in Lübeck. Und insgesamt bin ich eigentlich seit 17 Jahren an dem Thema Gesundheitssystem und Gesundheitsversorgung dran. Und dann halten Sie mich hier immer noch auf Trab in diesem Podcast. Aber es gibt noch die andere Seite, wo man selber betroffen ist. Und gerade jetzt in der Pandemie, auch ärztliche Kolleginnen und Kollegen sieht, wie zum Beispiel Impfatteste ausgestellt werden oder unter Ärztinnen und Ärzten Impfgegner sind. Und da merkt man schon, dass Einbrüche in der Gesundheitskompetenz vor keinem Halt machen.

Nößler: Es soll auch Ärzte oder Ärztinnen geben, die sich schon drei-, vier-, fünfmal haben geboostert.

Scherer: Dem sind keine Grenzen gesetzt. Also, unabhängig von der Bevölkerungsgruppe oder von der sozialen Schicht gibt es da Unterschiede. Und deshalb ist es gut, dass wir uns das Thema heute mal vorgenommen haben.

Nößler: Diese Frage ist natürlich ein rhetorisches Stilmittel. Das ist auch irgendwie durchaus auch Usos so in unserem Podcast. Und die hat aber durchaus einen Hintergrund. Und den lösen wir jetzt sofort an dieser Stelle mal auf. Und zwar gibt es von Gerd Gigerenzer, unter anderem, der sich ja immer wieder auch mit unserer Wahrnehmung und Fehlwahrnehmung von Risiken beispielsweise beschäftigt, der hat das auch mal Ärztinnen und Ärzten untersucht. Und dann gibt es einen Artikel, den hat er mit einer Kollegin vor einiger Zeit im Deutschen Ärzteblatt veröffentlicht. Herr Scherer, den verlinken wir wo?

Scherer: In den Shownotes.

Nößler: Perfekt, in den Shownotes, da machen wir den rein. Und da geht es um Gynäkologinnen und Gynäkologen in einem Spital in Luzern. Das kann man da so nachlesen. Und da ging es um das Thema Mammografie und welchen Effekt hat so ein Mamma-Screening am Ende. Und da kennen wir alle, Risiko von 4 auf 3, dass man an einem Mamma-CA dann stirbt. Man kann ein Todesfall verhindern. Und dann wurden die Ärztinnen und Ärzte gefragt, was bedeutet denn diese 25-prozentige relative Risikoreduktion. Das ist ein Thema, das zieht sich ja hier durch unseren Podcast immer wieder. Und bei den Antworten war – laut Gigerenzer uns seiner Kollegin – alles dabei, wirklich alles. Da ist das doch eigentlich naheliegend, dass man sich durchaus mit der Frage beschäftigt an Sie beide: Wie steht es um die, in Anführungszeichen, Gesundheitskompetenz von Medizinerinnen und Medizinern, oder? Frau Buhlinger-Göpfarth, wie meinen Sie?

Buhlinger-Göpfarth: Die Frage kann man natürlich schon stellen. Ich glaube wirklich, das hat mit den verschiedenen Dimensionen von Gesundheitskompetenz zu tun, dass wir uns in manchen Bereichen sicherer sind als in anderen, also in der kommunikativen Gesundheitskompetenz, die eine Dimension darstellt, aber eben auch in der digitalen. Also erst mal das das Heraussuchen von Gesundheitsinformationen im Internet, was wir ja genauso tun in unseren Sprechstunden. Wir wissen ja nicht immer gleich alles. Und wir müssen uns ja genauso wie unsere Patientinnen und Patienten in einem Informationsfluss zurechtfinden. Und dafür brauchen natürlich auch wir Ärzte und Ärztinnen beispielsweise eine navigable oder eine digitale Gesundheitskompetenz.

Nößler: Herr Scherer, mein Punkt mit dem Vergleich, den Gigerenzer da aufgezeigt hat, war das jetzt ein Punkt für mich oder habe ich da völlig danebengegriffen?

Scherer: Das zeigt einfach, dass auch Ärztinnen und Ärzte in der Risikoabschätzung danebenliegen können. Man kann sich immer wieder mal mit der Risikoreduktion vertun, selbst wenn man sich viele Jahre lang damit beschäftigt hat. Deshalb kann man sagen, vielleicht haben wir hier und da eine Lücke im Qualifizierungsbedarf. Ob man das dann bei den professionell Tätigen dann Gesundheitskompetenz nennt oder sagt: Bilden Sie sich fort, das ist noch mal eine andere Frage. Aber man kann sich mit diesen Zahlen vertun, und deshalb ist es einfach wichtig, dass wir immer wieder Tools anbieten, Risikotafeln machen und dabei helfen, mit der Risikokommunikation auf eine gute kommunikative Grundlage zu kommen.

Nößler: Und wir dürfen ja auch nicht vergessen, nur weil man approbierte Ärztin, approbierter Arzt ist, Irren bleibt menschlich, auch nach der Approbation. Das darf man dann auch hin und wieder mal anerkennen. Fortbildung war jetzt gerade das Stichwort, Herr Scherer, das Sie genannt haben, das ist ja nun wirklich tägliches Tun, gehört quasi zur Profession dazu. Ich will gar nicht zu sehr auf Ihnen oder Ihren Kolleginnen und Kollegen rumhacken – nein, wir wollen tatsächlich heute über die Gesundheitskompetenz gerade von uns Otto-Normalbürgerinnen und -bürgern reden, von den Patientinnen und Patienten in der Praxis. Und vielleicht sollten wir vorab mal so ein bisschen versuchen – wir haben ja immer noch Pandemie seit zwei Jahren –, ob wir gucken können, ob es so Unterschiede gibt, ob sich durch die Pandemie was getan hat. Vielleicht direkt mal der Blick aus der Praxis in Pforzheim, Frau Buhlinger-Göpfarth, wenn Sie einfach mal so aus dem Bauch heraus versuchen zu überlegen, hat sich etwas getan bei Ihren Patientinnen und Patienten in den zwei Jahren? Sind die heute besser informiert als vor der Pandemie oder nicht?

Buhlinger-Göpfarth: Meine Wahrnehmung ist, dass sich an der allgemeinen Gesundheitskompetenz kaum etwas geändert hat. Also zumindest kommt es bei mir in der Hausarztpraxis nicht spürbar an. Viele Patientinnen und Patienten sind angstbeladen in beide Richtungen. Also die mit den diffusen Ängsten vor der Impfung, die dann im Wesentlichen auf Bubble-Informationen beruhen, aber auch viele mit schierer Panik vor einer Ansteckung mit Corona, trotz drei Impfungen. Der ist oft getriggert durch die Bilder von der Intensivstation im Fernsehen. Und dass jetzt beispielsweise 9 von 10 COVID-Patientinnen und -Patienten ambulant behandelt werden, und zwar hausärztlich. Das erstaunt die allermeisten, wenn ich das sage. Jetzt bei Omikron sehen wir viele, die leichte Symptome haben, vielleicht Fieber, und völlig überfordert sind mit der Situation. Und das, was ich aber da offenbar in meinem Fenster Hausarztpraxis sehe, deckt sich ja meines Wissens nach nicht unbedingt jetzt mit der Forschungslage dazu. Also das Thema Gesundheitskompetenz war ja in Deutschland lange Zeit wenig beachtet. Aber wir hatten immerhin die GEDA-Studien, also die Gesundheit in Deutschland aktuell, angesiedelt am Robert-Koch-Institut. Da gab es die fünf Erhebungswellen von 2009 bis relativ aktuell, 2020. Und im Rahmen dieser GEDA-2-Studie gab es einen interessanterweise im Vergleich der Gesundheitskompetenz vor und nach der Pandemie – das ist publiziert von Hurrelmann, von der Uni Bielefeld, von der Forschungsgruppe um ihn. Und die haben da rausgefunden in dieser Teilerhebungsstudie, dass sich die Gesundheitskompetenz während der Coronapandemie verbessert haben soll. Aber das kommt bei mir in der Praxis nicht an. Ich erlebe eher, dass viele angesichts der Fülle der Informationen eine gewisse Hilflosigkeit entwickelt haben.

Nößler: Wir können gleich noch mal auf diese GEDA-Studie eingehen. Ich würde gerne aber an einer Sache noch mal nachfragen. Das hat mich doch jetzt interessiert, wo Sie gesagt haben, jetzt mit Blick auf die Omikronwelle, diejenigen, die zu Ihnen in die Praxis kommen und die halt mit der typischen Klinik da reinspazieren und dann stellt man fest, ja, das ist eine SARS-CoV-2-Infektion, und das ist im Moment Omikron. Da haben Sie gesagt, die seien überfordert damit. Frau Nicola Buhlinger-Göpfarth, wie erleben Sie das „überfordert“, sind die überfordert damit, dass sie sagen, ah, COVID und dann erwarten die eigentlich was ganz anderes und am Ende ist es nur, in Anführungszeichen, ein Schnupfen?

Buhlinger-Göpfarth: Ja, das sind einfach viele Ängste jetzt im Spiel. Vielleicht auch durch die mediale Begleitung und Aufbereitung dieser Pandemie. Tatsächlich erlebe ich auch häufig, das war aber auch vor der Coronapandemie schon so, dass viele Patientinnen und Patienten bei leichten Gesundheitsbeschwerden – nehmen wir Fieber oder Kopfschmerzen –, dass die einfach gar nicht mehr wissen, was ist denn da ein angemessenes Verhalten, wie gehe ich denn jetzt erst mal damit um. Muss ich da gleich den Bereitschaftsdienst rufen oder muss ich da, noch schlimmer, gleich in die Notaufnahme gehen? Oder kann ich da erst mal die Wärmflasche nehmen für das Bauchweh oder mal ein Wadenwickel machen für das Fieber. Und das scheint Wissen zu sein, was zunehmend verlorengeht, habe ich den Eindruck.

Nößler: Spannend. Jetzt haben Sie gleich zehn Dinge, glaube ich, in einem Satz angesprochen, mit denen wir uns sofort eh beschäftigen müssen. Ich möchte aber zunächst einmal ein Wort zu Martin Scherer rüberwerfen, das fand ich total spannend. Sie haben nämlich über Ängste gesprochen, die Ihre Patientinnen und Patienten manchmal haben. Und mit diesen Ängsten, die auch medial geschürt werden können, Herr Scherer, kann es sein, dass Gesundheitskompetenz und Ängste sich nicht wirklich vertragen?

Scherer: Zumindest hat die Gesundheitskompetenz eine situative Komponente. Sie ist ja kein statisches Konstrukt. Da gehen ja viele Dinge mit ein. Es sind die aktuellen Rahmenbedingungen, es gibt Trigger und es gibt auch Krankheitsängste, die man wiederum messen kann. Es gibt ein deutsches Instrument zur Messung der Krankheitsangst. Und das ist auch ein Befund, den wir in unseren Studien gesehen haben, dass Bildung, dass Gesundheitskompetenz nicht vor ängstlich getriggertem Verhalten schützt. Man kann noch so gebildet sein, man kann noch so gesundheitskompetent sein und geht vielleicht dennoch mit banalem Beratungsanlass in die Notaufnahme. Und das Instrument zur Messung der Krankheitsangst heißt Whitley Index.

Nößler: Das müssten Sie bitte noch einmal buchstabieren.

Scherer: W-H-I-T-L-E-Y-Index. Aber ich denke, wir können es auch in die Shownotes packen. Es sind 14 Items, das Konstrukt, was dahinterliegt, ist die Hypochondrie. Und Sie haben es ja schon nahegelegt, dass die Angst eine emotionale Komponente abbildet, die vielleicht noch mal völlig unabhängig von der Gesundheitskompetenz ist und dann eben auch dazu führt, dass ich, obwohl die Ratio relativ klar ist, ängstlich getriggertes Verhalten zeige und vielleicht dann doch in die Notaufnahme gehe. Das ist etwas, was wir gefunden haben, dass es da eine gewisse Entkopplung gibt zwischen der Gesundheitskompetenz und der Verhaltensebene. Und die Angst kann bei dieser Entkopplung eine Rolle spielen.

Nößler: Gehen wir gleich noch mal darauf ein, nämlich das, was Sie gefunden haben, ist die PiNo Nord-Studie – kennt wahrscheinlich auch die eine oder der andere, da kommen wir gleich noch mal drauf zu sprechen. Ich will noch mal ganz kurz bei dieser Pandemiesituation bleiben, über die wir gerade gesprochen haben. Wir erleben nun eine Zeit seit zwei Jahren, die man eigentlich gefühlt so erleben kann, als sei das eine kontinuierliche medizinische Education, CME, und zwar in den Tagesthemen, im Deutschlandfunk morgens, im Spiegel, in der Tageszeitung – egal wo – findet eigentlich CME statt. Wir werden hier quasi bombardiert mit virologischem, infektiologischem Wissen, theoretisch macht jeder von uns ein Facharzt für Mikrobiologie und Virologie und Infektionsepidemiologie. Da ist doch ein Widerspruch drin. Wir beschäftigen uns so sehr mit dem Verstehen einer Erkrankung, mit der Pathogenese, mit dem, was man dagegen tun kann. Und gefühlt bleibt davon aber nichts hängen. Ist das ein Widerspruch oder geht es eigentlich gut zusammen?

Buhlinger-Göpfarth: Ja, das ist ein Paradoxon. Aber ich spüre das auch, ich habe das auch tagtäglich in der Praxis sitzen, das Paradoxon, dass man denkt, es müsste jetzt eigentlich auch der Letzte kapiert haben, Impfen schützt vor schweren Verläufen. Es gibt aber die Gruppen, die trotz diesem objektiven Informationsfluss zum Thema Corona einfach ihrer eigenen Wahrheit folgen. Was ich auch erlebe, ist eine gewisse Überdrüssigkeit an Informationen zum Thema Corona. Die Leute hören nicht mehr hin, die hören nicht mehr zu, die wollen auch nichts mehr hören. Die haben sich jetzt irgendwo da eingerichtet in ihrer eigenen Erkenntniswelt – manche.

Nößler: Sie haben gerade das Paradox angesprochen. Herr Scherer, wir leben in einer Zeit, wo das Wissen unbegrenzt verfügbar ist über das Internet. Ich muss nicht mehr in eine Bibliothek gehen, ich brauche keinen Bibliotheksausweis, um irgendwas zu studieren, was ich lesen oder wissen will. Es ist alles verfügbar. Dieses Paradox, was Frau Buhlinger-Göpfarth angesprochen hat, ist das nicht durchaus ein ernstzunehmendes Problem, dass diese Informationsüberflutung, der wir ausgesetzt sind, tatsächlich zu einem eher negativem Effekt führt, vielleicht kontraintuitiv, dass genau das Gegenteil passiert? Dass die Leute überfordert sind?

Scherer: Genau, das würde ich auch so sehen. Denn es ist eben keine CME-geprüfte Fortbildung. Sie haben das Wort CME-Fortbildung eben genannt. Das ist es eben nicht. Sie werden bombardiert mit unheimlich vielen Informationen, die nicht immer qualitätsgeprüft sind, die zum Teil widersprüchlich sind, die auf den Boden vorhandener Ängste fallen. Und das ist ja auch etwas, was wir gelernt haben in der Pandemie, dass Dinge, die vorher schon da waren, akzentuiert werden. Der Fachkräftemangel war schon vorher da, wurde in der Pandemie akzentuiert. Soziale Ungleichheit war schon vorher da – in der Pandemie akzentuiert. Und auch in der Gesundheitskompetenz gibt es ja das Thema soziale Ungleichheit. Das war noch mal in den letzten zwei Jahren ein ganz besonderes Thema, dass auch hinsichtlich der Informationsverarbeitung, des Findens, des Verstehens, des Beurteilens und des Anwendens, dass da die sozialen Unterschiede, die sozialen Ungleichheiten noch mal eine ganz besondere Rolle gespielt haben. Und das, was Nicola Buhlinger-Göpfarth schildert, das beobachte ich so auch, dass die Menschen viele Fragen haben, gerade jetzt bei leichten Verläufen, wo man denkt, Mensch, das erinnert doch an virale Atemwegsinfekte, wie wir sie schon vor Corona kannten. Nein, da geht es um unterstützende Maßnahmen, wie mache ich das, wie kann ich das zu Hause auskurieren, ab wann muss ich das Fieber senken, welches Schmerzmittel sollte wann zum Einsatz kommen, was tun bei Appetitlosigkeit – die Fragen nehmen kein Ende. So ist es auch in der Praxis bei Ihnen, nicht wahr?

Buhlinger-Göpfarth: Ja. Und ich glaube tatsächlich, es hat auch noch mal eine andere Dimension. Wenn man jetzt überlegt, Gesundheitskompetenz, was ist das eigentlich? In meinen Augen befähigt doch Gesundheitskompetenz Menschen Gesundheitsprobleme, Krankheiten zu bewältigen oder besser noch sie zu vermeiden und mit den nötigen Informationen dazu umzugehen. Und praktisch heißt es ja eigentlich, Gesundheitskompetenz befähigt Menschen, informierte Entscheidungen zu treffen für die eigene Gesundheit oder die Gesundheit anderer, zum Beispiel ganz praktisch in der Familie. Und die Gesundheitskompetenz wurde lange als Problem, beispielswiese der fehlenden Lesekompetenz begriffen. Das war zum Beispiel in der Ottawa-Charta so beschrieben. Und da sieht man irgendwie Menschen als passive Empfänger oder als lediglich Konsumenten. Wenn ich lesen kann, bin ich gesundheitskompetent, wenn ich die Informationen angeboten kriege und kann die lesen, bin ich gesundheitskompetent. Aber dieses Bild Gesundheitskompetenz als etwas, was man den Menschen quasi eintrichtern kann, wie das in der Pandemie jetzt nach meinem Gefühl gerade passiert – da werden Menschen tagtäglich, wie Sie es gesagt haben, Herr Nößler, Spiegel Online, morgens geht es schon los im Radio – Informationen eingetrichtert. Das ist ja so ein passives Konzept.

Nößler: Wir reden bei Gesundheitskompetenz – das ist vielleicht ein wichtiger Punkt, an dem wir jetzt gelangt sind –nicht über eine Fachkompetenz, das wäre CME oder ich absolviere ein Medizinstudium, da geht es ja auch viel um Fachkompetenz, neben Methodik und Sozialkompetenz. Wenn ich das richtig jetzt deute, ist Gesundheitskompetenz meine eigene, auf meinen eigenen Körper zu hören, ein Gefühl für meinen Körper zu entwickeln, wann ist etwas pathologisch, wann kriege ich es vielleicht selbst in den Griff. Das ist eine Sozialkompetenz.

Scherer: Unter anderem.

Buhlinger-Göpfarth: Also ich verstehe es vor allem als ein aktives Konzept, unter anderem Sozialkompetenz. Aber auf jeden Fall kein passives, sondern eher ein aktives Konzept, wo ich Menschen einbinden und mitnehmen müsste.

Scherer: Die Studien von der Gruppe um Doris Schäfer bauen auf, auf diesem integrierten Modell von Sorensen et al., das ist ein Zwiebelschalenmodell. Da ist die Krankheitsbewältigung mit drin, die Prävention, die Gesundheitsförderung. Und dann die einzelnen Teilbereiche der Krankheitsbewältigung, die sich alle um das Verarbeiten von Informationen ranken, nämlich Finden, Verstehen, Beurteilen, Umsetzen von Gesundheitsinformationen. Der Kern der Zwiebel ist sozusagen die Krankheitsbewältigung. Deshalb tat ich mich eben auch so schwer, wenn man jetzt den Begriff Gesundheitskompetenz auf die professionell Tätigen anwendet. Weil Krankheitsbewältigung ein wesentlicher Teil ist. Und dann gibt es aber noch die situativen Determinanten und die Inanspruchnahme und das Gesundheitsverhalten, die Partizipation. Das ist ein relativ komplexes Modell, das dynamisch ist und unterschiedlichen Einflüssen unterliegt und jetzt auch nicht statisch monolithisch ist, sondern sich auch von Tag zu Tag, von Woche zu Woche verändern kann. Und deshalb sind die situativen Einflüsse da so entscheidend.

Nößler: Genau. Es geht um die jeweilige Situation, wo ich meine Kompetenz irgendwie einbringen muss und wo ich dann – Stichwort aktives Modell, ich muss dann irgendwie in meiner jeweiligen Situation, in der ich mich auch befinde, aktiv mit meiner Kompetenz oder um meine Kompetenz auch bemühen. Und das hängt dann eben auch von den Äußeren ab. Ich will mal auf etwas anderes kommen. Bleiben wir tatsächlich mal in der Praxissituation, im klinischen Alltag, wo es ja auch darum geht, dass diejenigen, die mit ihren Patientinnen und Patienten arbeiten, jene sind, die bei der Gesundheitskompetenz behilflich sein können, die diese Tür auch zeigen können. Es gab jetzt eine – das werden wir auch in den Shownotes verlinken – Entscheidung, das war Ende Januar vom gemeinsamen Bundesausschuss, die hatten PASTA erprobt dreieinhalb Jahre im Innofonds – sagt wahrscheinlich den meisten Hörern etwas, Innovationsfonds. Und da sind die Patientenbriefe nach stationärem Aufenthalt, das ist die Abkürzung. Und das muss laut GBA so gut in diesen dreieinhalb Jahren abgeschnitten haben. Also soll, heißt es, bei Älteren und chronisch Kranken, signifikant die Gesundheitskompetenz nach einem stationären Aufenthalt verbessert haben. Das sind dann einfach automatisiert erstellte Briefe, die eben nicht Medizinerlatein beinhalten, sondern die halt auch für Laien verständlich sind, die eben kein Humanmedizinstudium absolviert haben. Wie hoch, schätzen Sie, ist der Anteil der Ärztinnen und Ärzte, auch andere Heilberufe, am Erreichen von Gesundheitskompetenz oder – und jetzt werde ich böse – vielleicht sogar an der Barriere zu mehr Gesundheitskompetenz?

Buhlinger-Göpfarth: Das ist schwierig zu schätzen. Also, es ist ja sicher nicht so, dass Ärzte, Ärztinnen die ihnen anvertrauten Patienten bewusst im Unklaren lassen oder absichtlich lateinisch reden. Das System sieht halt oft auch nicht vor oder lässt nicht die Zeit für ausreichend Kommunikation. Und da wird viel im hausärztlichen Bereich auch abgeladen. Also das ist schon so, Patienten, die aus dem Krankenhaus entlassen werden, die gibt es zu Hauf, die nicht einmal wissen, was denn nun das Untersuchungsergebnis war und wie es jetzt weitergeht. Entlassgespräch scheint standardmäßig vielerorts gar nicht mehr stattzufinden. Also klar, Gesundheitsberufe können da helfen in der Kommunikation, da ist vieles denkbar. Unsere VERAHs beispielsweise in den Hausarztpraxen oder auch demnächst vielleicht Physician Assistance können sicherlich einen ganz entscheidenden Beitrag leisten, Gesundheitskompetenz zu stärken oder aber auch banale Übersetzungsarbeit zu machen, Gesundheitscoaching zu machen.

Nößler: Aber Herr Scherer, sind dann die Heilberufe, also eben auch Ärztinnen und Ärzte, der Schlüssel zu mehr Gesundheitskompetenz?

Scherer: Wenn man in unsere Fachdefinition Allgemeinmedizin schaut, dann sind Hausärztinnen und Hausärzte per Definition auch Lehrerinnen und Lehrer, haben eine wichtige Rolle in der Gesundheitsförderung, in der Aufklärung, in dem Empowerment der Patientinnen und Patienten. Das sind sie nach Fachdefinition, aber sie füllen diese Rolle auch de facto aus, das kann man sagen. Aber was Sie angesprochen haben – und was Nicola Buhlinger-Göpfarth noch einmal bestätigt hat –, die Patienten kommen oft etwas überfordert aus dem Krankenhaus zurück. Und eine sehr aktive Gruppe, die sich da bemüht und laienverständlicher Sprache Materialien zu erstellen, ist: washabeich.de. Eckart von Hirschhausen arbeitet auch eng mit dieser Gruppe zusammen. Und das ist eine ganz gute Initiative, die machen Patientenbriefe für die Entlassungssituation und vieles andere mehr. Und genau aus diesem Grund haben wir uns in der DEGAM auch sehr früh entschieden zu sagen, dass wir nicht nur Leitlinien für die Behandlungssituation machen, die dann die Ärztinnen und Ärzte in die Hand kriegen, sondern eben auch Patienteninformationen, damit man dieselben Inhalte noch mal in laienverständlicher einfacher Alltagssprache hat. Und das ist eben der Schlüssel dafür, dass sich dann auch was ändert. Die Patientinnen und Patienten sind ja grundsätzlich zur Kooperation bereit. Und das gelingt ihnen umso besser, je mehr sie verstehen, was sie tun sollen und warum. Und der Schlüssel zur Aufklärung ist eben eine einfache leicht verständliche Sprache. Das merkt man selber nicht so als Arzt. Ich kriege schon manchmal auch gesagt, hey, was war denn das jetzt für ein Wort. Und deshalb bemüht man sich eben um eine laienverständliche Sprache in der Erstellung von Gesundheitsinformationen. Da gibt es die Stiftung Gesundheitswissen, das IQWiG mit Gesundheitsinformation.de oder eben auch die DEGAM, die nationalen Versorgungsleitlinien des ÄZQ haben Patienten/-innen-Leitlinien. Also genau aus diesem Grund, wir brauchen nicht nur Leitlinien für die Ärztinnen und Ärzte, sondern – so die Meinung in der evidenzbasierten Medizin – auch in einer anderen Sprache für eine besondere Adressatengruppe, nämlich Patientinnen und der Patienten.

Buhlinger-Göpfarth: Vielleicht müsste man auch viel früher schon ansetzen. Also beispielsweise in den Bildungsplänen. Wir hatten ja früher Fächer wie Kochen oder Hauswirtschaft. Und es wäre vielleicht auch ein Konzept, die Gesundheitskompetenz bereits in den Bildungsplänen zu adressieren.

Nößler: Wahrscheinlich würden die Pädagogen sofort sich auf die Hinterbeine stellen und würden sagen, wir haben andere Dinge zu tun. Aber es gibt so ein Beispiel, das ist interessant, wenn Sie das Thema Bildung ansprechen, Frau Buhlinger-Göpfarth, es gab so ein Beispiel oder es gibt solche Projekte ja, Stichwort Schulkrankenschwester – ich nehme mal diesen Begriff. Da gab es ein Projekt in Brandenburg, das wurde erprobt, ein richtiges Modellprojekt, wurde evaluiert, wurde am Ende irgendwie auch für gut befunden. Und am Ende wird es vermutlich aus Kostengründen – Klammer auf, Klammer zu – beerdigt, wird nicht gemacht. Aber es gibt doch diese Konzepte. Und das ist ja auch nichts Neues. Wir kennen das aus dem angloamerikanischen Raum, wo es diese Berufe durchaus breiter gibt. Wir hatten das auch bis 1989 in einem Teil der Republik, da gab es so was auch.

Buhlinger-Göpfarth: Ja, ich würde es sehr begrüßen als Ärztin und auch als Berufspolitikerin. Also die Stärkung der Gesundheitskompetenz kommt ja leider in den Parteiprogrammen jetzt auch der Ampelkoalitionspartei nicht vor aktuell. Findet sich aber zum Beispiel als Ziel im Gutachten des Sachverständigenrates oder bei anderen Akteuren des Gesundheitswesens, also beispielsweise in Positionspapieren und Anträgen vom Hausärzteverband. Und klar, die Idee ist alt, aber eine Stärkung der Gesundheitskompetenz, wenn man weiß, dass die Gesundheitskompetenz an das allgemeine Bildungsniveau gekoppelt ist, dann müsste man konsequenterweise fordern – und das tun wir auch –, dass die Gesundheitskompetenz ganz früh in den Bildungsplänen verankert wird.

Nößler: Und in der Bildung wäre das Ganze natürlich noch sehr viel niedrigschwelliger, davon würde ich jetzt mal ausgehen, weil wir doch alle mehr oder minder, gerade auch in jungen Jahren, vielleicht noch sehr viel empfänglicher sind für gewisse Botschaften. Ich erinnere mich bis heute – es ist Ewigkeiten her, es war in der Schule – da hingen diese BZGA-Poster rum und da stand einfach drauf: Rauchen macht schlank. Und das hat sich so eingebrannt, das ist so bei uns damals hängengeblieben. Es hat auch durchaus dafür gesorgt, dass viele gar nicht erst geraucht haben. So viel zum Thema niedrigschwellige, barrierearme, gesundheitliche Aufklärung. Herr Scherer, das, was Sie angesprochen haben vorhin mit den Leitlinien, Stiftung Gesundheitswesen vom IQWiG.

Scherer: Stiftung Gesundheitswissen.

Nößler: Stiftung Gesundheitswissen, genau. Es gibt ja auch dieses nationale Gesundheitsportal, das sich genau damit beschäftigen soll. Ich glaube nicht, dass das barrierearm ist. Ich habe eher den Eindruck, Herr Scherer, diejenigen, die sich eh gut informieren können, die kommen dann da hin. Aber geht es nicht bei Gesundheitskompetenz am Ende gerade um jene, die gar nicht so aktiv sich informieren? Also geht es nicht eigentlich dann in die falsche Richtung? Erreicht es nicht die richtigen Zielgruppen?

Buhlinger-Göpfarth: Was ich spannend find, wenn man sich noch mal den Forschungsstand anguckt, national wie international, wenn man schaut, wie die Gesundheitskompetenz verteilt ist, dann ist ja spannenderweise rausgekommen, dass eine niedrige Gesundheitskompetenz assoziiert ist mit niedrigem Bildungsstand, geringem Einkommen, Migrationshintergrund auch, also eigenem Migrationshintergrund – das muss man noch mal ein bisschen differenziert sehen – mit einem schlechten Gesundheitszustand und mit hohem Lebensalter. Und da ist die eben angesprochene Frage schon wichtig, wie erreicht man diese Gruppen? Also reicht es, Informationen ins Internet zu stellen? Reicht es, irgendwelche Informationsbroschüren in der Praxis auszulegen? Oder braucht es nicht eine spezielle Förderung dieser vulnerablen Gruppen? Und wenn ja, wie kann die aussehen? Das finde ich eine ganz spannende Frage. Und wenn man jetzt mal auf die ökonomischen Folgen schaut, wenn die Gesundheitskompetenz der Bevölkerung sinkt: Wir sehen da eine intensivere Nutzung des Gesundheitssystems, was ja wieder zu steigenden Kosten führt. Wir sehen mehr Fehltage am Arbeitsplatz mit einer Belastung der Wirtschaft. Und wir sehen durch eine schlechtere Gesundheitskompetenz auch eine Zunahme von chronischen Erkrankungen und auch wieder vermehrt Gesundheitsausgaben. Es gibt Untersuchungen in Österreich. Und wenn man die hochrechnet, dann kostet fehlende Gesundheitskompetenz zwischen 3 und 5 Prozent der Behandlungskosten, also rund 10 Milliarden im Jahr.

Nößler: Allein da wäre es natürlich schon mal für die Legistik interessant, in unserem Land zu sagen, okay, wenn das doch zu viel Geld kostet, dann ist es vielleicht besser investiert im Bildungswesen beispielsweise. Aber Herr Scherer, wie sehen Sie das, also Stiftung Gesundheitswissen beispielsweise, diese Angebote, die es da gibt, die sind ja alle super. Und da wird wahnsinnig viel Know-how reingesteckt, um eben einen ordentlichen Zugang anzubieten, auch geprüftes Wissen anzubieten. Aber das kann nicht das Ausschließliche sein, was wir machen, oder?

Scherer: Ich kann mich da nur anschließen. Es reicht nicht aus, dass wir Informationen einfach ins Internet stellen, auch wenn sie noch so multimedial sind mit unterschiedlichen Formaten, Bildern, Cartoons, Filmen, das ist alles gut. Aber wir haben Erfahrungen gemacht in der Pandemie, die zeigen, dass Informationen zielgruppenspezifisch sein müssen, dass sie auf vielen Kanälen verbreitet werden müssen, dass sie passgenau sein müssen für unterschiedliche Adressatengruppen. Und das hat auch die Bielefelder Studie gezeigt, dass dann die einzelnen Aspekte ganz klar gefördert werden müssen. Also das Finden der Information ist ja die eine Sache. Aber das Beurteilen von Informationen, das fällt vielen besonders schwer. Und hier haben auch drei Viertel der Befragten eine geringe Gesundheitskompetenz gehabt, also wie beurteile ich die Informationen, was bedeutet das für mich, wie interpretiere ich das, was muss ich dann machen, wie setze ich das um. Und besonders schwer ist es für diejenigen, das wurde schon gesagt, mit einer sozialen Benachteiligung.

Nößler: Das heißt, man hat im Prinzip schon mal eine Zielgruppe, die ist nicht ganz klein, die ist nicht ganz unerheblich, um die müsste man sich zuvörderst gesellschaftlich kümmern. Und da müsste man gesellschaftlich auch Antworten finden, wie man die Kompetenz steigern kann. Wir haben jetzt schon über eine Möglichkeit vorhin gesprochen, die wirklich ein Mittel sein könnte, nämlich Schlüsselwort Bildung. Bildung ist das Schlüsselerlebnis für ganz, ganz viele Dinge. Und wir wissen immer auch, dass Bildung, soziale Armut beispielsweise, Deprivation korrelieren mit Gesundheitschancen, mit Gesundheits-Outcomes, das ist so weit auch nicht neu. Jetzt haben wir sehr viel auch darüber schon gesprochen, wie das denn ist, was man da tun kann. Wir haben über das Thema gesprochen, wie ist das, wenn Menschen rauskommen aus der Versorgung, verstehen sie, was mit ihnen passiert ist. Jetzt will ich mal gucken, wie das ist, wenn Menschen in die Versorgung hineingehen und was dann Gesundheitskompetenz uns sagt. Dann sind wir nämlich bei dem Beispiel der PiNo Nord-Studie, die Martin Scherer eingangs schon angedeutet hat. Und dann habe ich Sie, glaube ich, sofort gestoppt und gesagt, nein, das kommt erst später in meiner Dramaturgie. PiNo Nord-Studie – wird natürlich auch eine maßgebliche Publikation davon verlinkt – wird vielen bekannt sein, ich mache es in einem Satz – die hat im Prinzip nach den Gründen Ausschau gehalten, warum Menschen eine Notaufnahme aufgesucht haben. Und dazu hat man die Menschen in verschiedenen Krankenhäusern in den Notaufnahmen, wenn sie sie besucht haben, befragt, was war denn der Grund, wie bist du hier hergekommen et cetera. Ich will jetzt nicht die ganze Methodik erklären. Was ich spannend finde, Herr Scherer, daran – das finde ich jetzt mal nur ich spannend –, das sind drei Zahlen. Nämlich zum einen diese Zahl, dass fast jeder Zweite der interviewten Personen sich vor dem Klinikbesuch nicht informiert hat über das, was er hat, also sagen wir mal Bauchweh, beispielsweise, Unspezifisches. Die haben einfach gesagt, Bauch tut weh, ich gehe jetzt ins Krankenhaus. Zweite Zahl: 41 Prozent der Befragten hatten selbst entschieden, in die ZNA zu fahren, also wurden nicht etwa überwiesen von einer Hausärztin oder von einer Fachärztin. Und gut jeder Dritte der Befragten, 31 Prozent ganz genau, die wussten nicht einmal, dass es die 116, 117, den ärztlichen Bereitschaftsdienst gibt, also dass man gar nicht in die ZNA hätte fahren müssen, sondern vielleicht eben Notfallpraxis. Was könnte dahinterstecken? Was wissen wir aus der PiNo Nord-Studie dazu?

Scherer: Genau die letzte Zahl war die, dass nur rund jeder Dritte den ärztlichen Bereitschaftsdienst kannte. Die kassenärztliche Vereinigung Hamburg, die die Studie gefördert hat, die dann auch sofort reagiert und ihr Informationsangebot umgestellt und erneuert. Und im Grunde genommen zeigt es auch das, was Frau Nicola Buhlinger-Göpfarth eben sagte, dass die Menschen nicht wissen, wie unser System funktioniert und wie sie sich durch das System zu bewegen haben. Im Grunde genommen ist das tatsächlich ein Plädoyer für ein Schulfach Gesundheitssystem. Wir lernen ja auch unsere freiheitlich demokratische Grundordnung, wir lernen ja wie das mit dem Bundestag, dem Bundesrat funktioniert, wie unser föderales System funktioniert, das lernen wir ja alles. Wir lernen aber nicht in der Schule, wie unser Gesundheitssystem funktioniert. Und das merken wir dann auch oft, wenn uns Patientinnen oder Patienten gegenüber sitzen, die haben zum Teil recht putzige Kompetenzzuschreibungen. Es kann sein, dass die einen maßlos überschätzen. Es kann aber auch sein, dass die denken, dass man nur zum Zettel schreiben da ist. Also da gibt es eine relativ große Bandbreite und man merkt doch, es gibt kein einheitliches Bewusstsein in der Bevölkerung darüber, wer macht was im Gesundheitssystem und wo gehe ich eigentlich hin mit welchen Beschwerden. Da gibt es sehr allgemeine Kompetenzzuschreibungen.

Nößler: Das heißt ja, da fehlt es eigentlich schon an einem gewissen Systemverständnis im Hintergrund. Also dass uns allen nicht mal wirklich klar ist, was gibt es denn so für – böses Wort – Dienstleister oder vielleicht eher – SGB-5-Beriff – Leistungserbringer, an wen kann ich mich wenden. Das ist gar nicht in der Bevölkerung breit da. Das nehme ich so mit. Oder?

Scherer: Es sind auch so Reflexe. Das kennt Nicola Buhlinger-Göpfarth sicher auch tagtäglich oder viele andere Kolleginnen und Kollegen. Rücken – Orthopädie, Hals – HNO, Pandemie – Virologie und so weiter. Also da gibt es oft so einfache condition-treatment pairs oder so einfache Reflexe. Es gibt natürlich auch die, die wissen, dass sie bei den Hausärztinnen und Hausärzten wunderbar aufgehoben sind und als erste Ansprechpartnerin ansteuern können. Da gibt es natürlich auch sehr viele. Aber wie funktioniert unser System – das bräuchten wir als Schulfach.

Buhlinger-Göpfarth: Ja, das ist tatsächlich wie Martin sagt. Es ist schon so die Lotsenfunktion, die wir ja gar nicht mehr so gerne hören, dass man die ständig bei uns Hausärztinnen und Hausärzte adressiert. Aber irgendwie braucht es für manche Gruppen, für viele eigentlich in der Praxis, die wir sehen. Dass die sich wirklich nicht durchfinden durch das System.

Nößler: Aber diese Lotsenfunktion, das haben wir jetzt schon an mehreren Stellen konstatiert, Stichwort im Bildungswesen, also sehr viel niedriger, früher beginnen damit. Aber eben offenkundig dann auch hausärztlich, wenn wir auf diese PiNo Nord-Ergebnisse schauen, das können doch aber die Hausärztinnen und Hausärzte gar nicht abschließend leisten, diese Lotsenfunktion. Dafür reicht doch schlicht und ergreifend die Arbeitszeiten nicht, Frau Buhlinger-Göpfarth. Da bräuchten wir dann schon irgendwie auch andere, die das machen müssten. Jetzt bin ich mal bösartig und sage, das können doch auch die Apotheker.

Buhlinger-Göpfarth: Ich glaube, die Apothekerinnen und Apotheker brauchen wir hierfür nicht. In den eigenen Praxen ist ja alles da, da ist viel Expertise, da ist viel Kompetenz, wir haben unsere medizinischen Fachangestellten, wir haben unsere VERAHs, wir haben demnächst vielleicht akademisierte VERAHs oder Physician Assistance. Und ich glaube schon, dass man da Expertise abgreifen und mitnehmen kann, dass die sehr viel leisten können auch in der Kommunikation mit Patientinnen und Patienten. Auf die Apotheker wäre ich jetzt zuletzt gekommen, wenn ich das Thema adressieren wollte. Ich denke, es braucht ein Umbau der Hausarztpraxis zu einer echten Hausarztteampraxis, in der das Team agiert mit wirklich gut ausgebildeten Gesundheitsberufen, die dann solche Dinge auch gelernt haben, also Patientenkommunikation, Patientencoaching. Also für mich ist da sehr viel denkbar zukünftig.

Nößler: Da sind wir aber eher so in dem Bereich interprofessionelle Versorgungseinrichtungen.

Buhlinger-Göpfarth: Wir sind im Bereich Hausarztteampraxis.

Nößler: Aber aufgewertete andere Berufe, also beispielsweise akademisch ausgebildete medizinische Fachangestellte, Physician Assistance, da sind auf einmal mehr Professionen, als man das aus der klassischen Einzelpraxis kennt.

Buhlinger-Göpfarth: Ja, wir sind auf einen guten Weg dahin schon. Das, was unsere VERAHs tagtäglich leisten, auch im Disease Management oder nehmen wir PraCMan Stichwort, also da sind ja schon zaghafte Ansätze – ich will es gar nicht „zaghaft“ nennen – da sind ja durchaus schon Ansätze vorhanden, auf die kann man aufbauen, die sind ja auch gut evaluiert. Und ich denke, gerade beim Thema Gesundheitskompetenz wäre das was, was man unbedingt fördern müsste.

Nößler: Jetzt will ich diesen Lotsenbegriff noch mal nach Hamburg werfen. Herr Scherer, es gab mal eine Zeit – und vermutlich gibt es sie immer noch, diese Zeit –, wo wir Millionen solcher Lotsinnen einfach unter uns hatten, auch Lotsen im Übrigen. Das waren unsere Großeltern. Wir hatten eben schon gesagt, das Empowerment der Weiblichkeit durchaus ein Booster für die Gesundheitskompetenz sein könnte. Das haben wir eben schon angesprochen. Das ist doch eben dann die Mütter sind, die Oma uns gewisse Dinge beibringen, öfter als es vielleicht der Papa oder Großpapa macht. Und ich kann mich auch noch erinnern, das war zu meinen Kindesbeinen auch noch so üblich, dass es immer die Großmütter oder die Mutter waren, die einem ganz genau gesagt haben: Wenn du das Wehwehchen hast, dann machst du das und das. Das war ja auch so Lotsenfunktion, so eine familiäre. Gefühlt ist das nicht mehr in dieser Flächendeckung vorhanden. Oder wie schätzen Sie das ein, Herr Scherer?

Scherer: Ich stimme Ihnen partiell zu. Also mit dieser Gendergeschichte, da bin ich noch ein bisschen dran am Hängen. Weil meine Kinder mir immer ein Hygienewahn vorwerfen. Die meinen, ich würde immer zu oft auf das Zähneputzen und auf das Händewaschen hinweisen. Insofern weiß ich jetzt nicht, ob das so eine reine Frauensache ist. Aber klar, ich weiß, worauf Sie hinauswollen. Also Sie wollen auf die lebenserfahrene, benevolente, unglaublich weise und gutmütige Großmutter hinaus, die sagt: Mensch, das wird schon wieder, du musst damit nicht in die Notaufnahme, du musst dir keine Sorgen machen, probiere doch mal dieses oder jenes Hausmittel. Das waren die Mehrgenerationenhäuser, die es jetzt so nicht mehr gibt oder viel seltener gibt. Früher war es selbstverständlich, dass man einfach ein Stockwerk obendrauf gesetzt hat. Und die Jungen zogen dann hoch und die Alten unten, barrierefrei. Also das war völlig klar, dass man im Kontext der Großfamilie Menschen um sich herum hatte, die einem ihr Körpergefühl geliehen haben – hätte ich fast gesagt –, aber auch ihre Erfahrungen geliehen haben. Und dieses Körpergefühl, wie deute ich meine eigenen Körpersignale, wie mache ich daraus eine Interpretation und eine Handlung. Diese Frage, damit stehen heute viele junge Leute überfordert da in den Großstädten. Das ist eine ganz persönliche Beobachtung.

Buhlinger-Göpfarth: Die teile ich. Also ich habe auch das Gefühl, die gute alte Großmutter ist irgendwie unterwegs verlorengegangen und durch Dr. Google ersetzt.

Nößler: Genau, Dr. Google. Und da haben wir wieder das, was wir anfangs besprochen haben, dass eben dieser Information-Overkill auch zu einem echt reziproken Effekt am Ende führen kann. Wir bleiben jetzt mal in dem Klischee – die Hörerinnen und Hörer verzeihen es uns hoffentlich, aber Sie werden wissen –, was wir meinen, die benevolente Großmutter, wenn das wegbricht gesellschaftlich, zumindest in weiten Teilen – nicht in allen – Frau Nicola Buhlinger-Göpfarth, das können die Hausärztinnen und Hausärzte nicht kompensieren.

Buhlinger-Göpfarth: Das glaube ich auch nicht, nein. Also da brauchen wir eine andere Strategie. Da brauchen wir Hilfe.

Nößler: Okay. Also dann eben doch eher gesamtgesellschaftliche Aufgabe. Da haben wir ja so ein paar Stichpunkte schon herausgearbeitet. Wir müssen tatsächlich so langsam zum Ende kommen. Wir wollen auch die Hörerinnen und Hörer nicht jetzt maßlos in ihrem Wochenende einschränken. Manchmal muss da ja auch irgendwie das eine oder das andere getan werden. Aber ich denke, über zwei Aspekte sollten wir zum Ende hin wirklich noch sprechen, wenn wir über das Thema Gesundheitskompetenz reden, nämlich zum einen, mich würde mal interessieren, Herr Scherer, da haben Sie vielleicht ein bisschen Kenntnis, haben Sie ein paar Erfahrungen dazu, ein bisschen Wissen, dass Sie vielleicht hier noch mal kurz so kursorisch abarbeiten können, nämlich das Stichwort Evidenz. Und zwar, Evidenz nicht hinsichtlich was wissen wir über Gesundheitskompetenz in der Bevölkerung – da haben wir schon über die GEDA-2-Studie eingangs gesprochen. Wird natürlich verlinkt in den Shownotes. Sondern Evidenz in der Frage: Wissen wir denn, ob mehr Gesundheitskompetenz auch ein Benefit bei klinischen Outcomes hat? Also ich sage mal, der Klassiker in der hausärztlichen Praxis: Hochdrucktherapie. Da wissen wir, Adhärenz ist gut für den Behandlungserfolg. Gibt es denn Evidenz, Herr Scherer, dass kompetentere Patientinnen und Patienten am Ende bessere Blutdruckwerte haben zum Beispiel?

Scherer: Ich hatte jetzt nicht ganz so viel Zeit für die Literaturrecherche. Ich habe aber eine Metaanalyse gefunden, die sich mit der Health Literacy befasst und der Adhärenz. Das könnte schon mal ein Hinweis sein, so Therapietreue, ja, ein Surrogatmarker, ich weiß. Aber immerhin, es waren 220 veröffentlichte Artikel, die in diese Metaanalyse eingingen, die ist erschienen in Patient Education and Counseling in 2016. Und da hat man tatsächlich gefunden, dass es einen Zusammenhang gibt zwischen Gesundheitskompetenz unter Einhaltung sowohl medikamentöser als auch nicht medikamentöser Therapien. Und das ist das Entscheidende. Gesundheitskompetenz führt jetzt nicht nur zum braven Pillen essen, sondern auch zu nichtmedikamentösen Behandlungsmaßnahmen.

Nößler: Lebensstil zum Beispiel.

Scherer: Lebensstil, Hypertonie, salzarme Kost, Bewegung, Ernährung und so weiter. Und das ist natürlich dann auch ein Hinweis darauf, dass die Gesundheitskompetenten gesünder leben. Aber auch hier wieder der soziale Gradient. Wir wissen, dass diejenigen mit einem höheren Sozialstatus zum einen niedrigere Häufigkeiten haben, was Multimorbidität und chronische Krankheiten anbelangt als die mit einem niedrigeren Sozialstatus. Es ist aber auch so, dass chronische Krankheiten bei höherem sozialem Status ein besseres Outcome haben. Und das kann durchaus mit solchen Dingen dann zusammenhängen.

Nößler: Und da natürlich, das würde wahrscheinlich jetzt der Methodiker Scherer, wenn ich ihn jetzt herauskitzle, noch hinterherschieben, dass da natürlich oft einfach auch Beobachtungsstudien mit einfließen werden können, wo man dann zunächst mal erst mal Assoziationen herausarbeiten kann und reverse Kausalitäten auch nie ausgeschlossen sind.

Scherer: Da sind viele Beobachtungsstudien, viele Querschnittstudien drin. Das sind Korrelationen mit einem einfachen Korrelationskoeffizienten. Und die Assoziationen, die dann da gefunden werden, die lassen häufig auch die Richtung des Zusammenhangs offen. Also wo ist die Henne und wo ist das Ei oder wer ist das Ei und wer ist die Henne.

Nößler: Aber es ist ja gut zu wissen, wenn man weiß, das ist eine Henne, dass da auch ein Ei sein könnte. Also das kann ja auch nicht immer verkehrt sein dieses Wissen.

Scherer: Gut, dass Sie es noch mal ansprechen.

Nößler: Einfach nur mal so als Tipp für den Wochenendeinkauf. Jetzt, wo wir zumindest mal eine Arbeit gefunden haben, Herr Scherer, vielen Dank zumindest, dass wir mal gezeigt haben, es gibt im PubMed durchaus ein Piece of Evidence, wo man finden kann, ja, es gibt da irgendeinen Zusammenhang und das ist zumindest mal kein negativer. Das verlinken wir. Was jetzt noch interessant wäre so zum Ausstieg – vielleicht können wir damit auch den Kreis schließen – Frau Buhlinger-Göpfarth, wir hatten eingangs die Frage: „Gab es irgendein Erleben in diesen zwei Jahren Pandemie?“, hat sich bei der Health Literacy bei den Patientinnen und Patienten in Ihrer Praxis was geändert. Würde mich natürlich jetzt so, vielleicht auch als Take-Home-Message für die Hörerinnen und Hörer interessieren, haben Sie so eine Art Best-Practice-Tip, so ein Practice-Pointer, wo Sie sagen: Ja, liebe Kolleginnen, liebe Kollegen, aufgepasst. Also ich habe einen Tipp für euch, wie ihr eure Patientinnen und Patienten super kompetent bekommt.

Buhlinger-Göpfarth: Wenn ich den hätte, diesen Game Changer, dann wäre es wirklich gut. Nein, da bin ich wirklich noch nicht auf was gestoßen, was da wirklich helfen kann. Ich glaube, generell Patientinnen und Patienten mitzunehmen, also nicht der Arzt, die Ärztin hat den aktiven Part, sondern den zurückzuspielen zum Patienten und gemeinsam zu überlegen, was hast du denn vielleicht schon erfahren, wie du deine Gesundheit verbessern kannst. Und da anzuknüpfen, also eher so ein Coaching.

Nößler: Dann – also ich stelle jetzt mal eine Vermutung auf, Frau Nicola Buhlinger-Göpfarth, und Sie sagen mir, ob ich damit völlig danebengegriffen habe oder ob das in so eine Richtung gehen könnte – könnte man zum Beispiel auch überlegen, wie man das Sprechzimmer herrichtet. Will ich eine konfrontative Gesprächssituation oder eine kooperative? Also sitzt quasi meine Patientin, mein Patient eher so halb an der Seite, wo ich die Person vielleicht im Gespräch besser aktivieren kann, als wenn sie mir vis-à-vis sitzt.

Buhlinger-Göpfarth: Ja, das machen wir immer schon so. Also wir sitzen tatsächlich über Eck, ja.

Nößler: Ist ja eigentlich auch der Klassiker.

Buhlinger-Göpfarth: Ist der Klassiker. Also einen Stuhlkreis würde ich jetzt nicht bilden wollen. Vor allem nicht in Pandemiezeiten.

Nößler: Also keine Gruppentherapie in der Hausarztpraxis.

Buhlinger-Göpfarth: Kein Gruppenunterricht zur Gesundheitskompetenz durch die VERAH in der Hausarztpraxis. Da sind wir noch nicht, vielleicht kommen wir da noch hin. Ich fand es sehr spannend heute, das Thema mal aus unterschiedlichen Blickwinkeln zu beleuchten.

Nößler: Schauen wir mal, es muss uns ja begleiten. Herr Scherer, wir sind am Ende dieser Episode. Und wahrscheinlich war es nicht das letzte Mal, dass wir Health Literacy thematisiert haben, thematisieren wollen, thematisieren mussten. Haben Sie noch so eine abschließende Take-Home-Message zur Ergänzung Ihrer Kollegin Buhlinger-Göpfarth, wo Sie sagen, das ist so ein kleiner Kniff, den wende ich ganz gerne mal an?

Scherer: Vielen Dank erst mal, dass wir das hier zu dritt machen konnten, hat mich sehr gefreut. Ich glaube, die wesentlichen Dinge wurden gesagt. Die erlebte Anamnese, die Langzeitbeziehung in der hausärztlichen Praxis ist ein gutes Fundament für die Verbesserung der Gesundheitskompetenz. Das ist eine Beziehungssituation wie man sie eigentlich nur in der Hausarztpraxis findet. Da gibt es Arzt-Patienten-Beziehungen, die jahrzehntelang andauern. Und damit ist natürlich auch ein gutes Fundament gegeben, bestimmte Dinge einzuordnen. Wenn wir über zielgruppenspezifische Informationen sprechen und über Angstbewältigung, über die Hindurchführung durch das System, dann ist auch hier die Hausarztpraxis der richtige Ort. Und das wird tausendfach jeden Tag gemacht in vielen Hausarztpraxen. Das Entscheidende ist, dass die Rahmenbedingungen stimmen, dass nicht von außen zu viele, ich sage mal fachfremde Jobs uns auferlegt werden. Dass nicht das passiert, was jetzt in der Pandemie leider sehr oft passiert ist, dass uns das Kommunikationsgeschäft schwerer gemacht wird. Und da bin ich einfach froh, dass wir den Hausärzteverband haben, dass wir solche Berufspolitikerinnen haben wie Nicola Buhlinger-Göpfarth, die dann auch immer wieder gegenüber der Politik die Fahne hochhalten und sagen: Liebe Leute, lasst uns arbeiten, lasst uns unseren Job machen.

Buhlinger-Göpfarth: Wir machen Versorgung, genauso ist es. Ich bedanke mich auch bei Ihnen beiden. Bleiben Sie alle fit und munter. Kommen Sie gut durch diese anstrengenden Zeiten. Und ich hoffe, wir sprechen uns vielleicht auch mal zu einem anderen Thema gerne mal wieder.

Nößler: Das hoffen wir auch. Damit auch von unserer Seite, von Martin Scherers und von meiner Seite, Frau Buhlinger-Göpfarth, vielen lieben Dank für diese wunderschöne Episode. Auch an die Hörerinnen und Hörer. Und Herr Scherer, Sie wissen, was Ihnen zum Ende einer jeden Episode droht, nämlich meine quälende Frage, ob Sie es mit einem Cliffhanger versuchen wollen.

Scherer: Meine Antwort darauf ist eine E-Mailadresse. Evidenzupdet@Springer.com. Wie wäre es, wenn man da einfach mal hinschreibt, was das Thema des nächsten Podcast sein soll.

Nößler: Perfekt. Dann werden wir also in der nächsten Episode, so Martin Scherer das wollte, vier Stunden lang E-Mails vorlesen. In diesem Sinne, bleiben Sie uns alle gewogen und ich freue mich, wenn wir uns wieder hören an gleicher Stelle und auf gleicher Welle. Ahoi, tschüss!

Scherer: Tschüss!

Buhlinger-Göpfarth: Tschüss!

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