Hinweis auf UAW chronischer Husten unter GLP-1-RA – Evidenz-Quickie
Wirkstoffklassen-Vergleich inkl. ▼ Semaglutid, aber ohne ▼ Tirzepatid
Eigentlich will das EvidenzUpdate nicht auf jedem Ferkel reiten, das durch die wissenschaftliche Literatur getrieben wird. Deswegen tut es uns ein wenig leid, dass wir es heute doch tun und neuerlich auf eine Arbeit zu GLP-1-Rezeptoragonisten hinweisen müssen.
Die folgende Publikation scheint wichtig für den klinischen Alltag, weil sie Hinweise auf eine bisher nicht erwähnte Nebenwirkung liefert: nämlich das Risiko, unter GLP-1-RA-Einnahme einen chronischen Husten zu entwickeln. Rationaler Hintergrund könnten bspw. Mikroaspirationen sein, die durch die per GLP-1 vermittelte Magenentleerungsstörung entstehen.
Absolut bleibt der Effekt zwar klein, er ist aber vor dem Hintergrund des zunehmenden Einsatzes der Substanzen nicht trivial. Interessant zudem: Bei jenen ohne dokumentierte GERD-Diagnose zeigt sich ein stärkeres Signal. (Das Reflux-Risiko ist unter GLP-1-RA bekanntlich erhöht.)
Über diese Auswertung von Krankenversichertendaten in den USA sprechen wir, die vor wenigen Minuten im JAMA Otolaryngol Head Neck Surg erschienen ist:1
Tipp: Das Faksimile ist mit einem „Gift-Link“ versehen für kostenfreien Zugriff auf das Paper!
Aber zur Arbeit, und weil es eine epidemiologische Betrachtung ist und keine Intervention, gibt es heute naturgemäß statt eines PICOs ein:
PECO
P(opulation)
≥18 Jahre mit Diabetes mellitus, Typ 2 (ICD‑10 E11)
US-Versichertendaten aus 70 regionalen Gesundheitseinrichtungen, Zeitraum 04/2005–04/2025
Einschluss: T2DM-Diagnose vor Verordnung eines 2. Antidiabetikums (GLP‑1‑RA, DPP‑4‑Hemmer, SGLT2‑Hemmer, Sulfonylharnstoffe)
Ausschluss für den primären Endpunkt: bestehende Diagnose „chronischer Husten“ vor Indexdatum; für GERD-Analysen Ausschluss bestehender GERD
Ausschluss für die GERD‑freie Subanalyse: alle Personen mit irgendeiner GERD-Diagnose zu irgendeinem Zeitpunkt
427.555 Personen mit GLP‑1‑RA, plus 1.614.495 Personen mit zusätzlich 2. Antidiabetikum
GLP‑1‑RA‑Nutzer waren jünger (Ø 55,8 vs. 63,7 Jahre in „any non–GLP‑1‑RA“) und häufiger weiblich (58,9% vs. 44,4%)
Hoher Anteil Weißer (~63%) in allen Gruppen
E(xposition)
Verordnung eines GLP‑1‑RA (Liraglutid, ▼ Semaglutid, Exenatid, Dulaglutid, Lixisenatid, ggf. Albiglutid) ohne gleichzeitige Verordnung eines der anderen o.g. Antidiabetika (DPP-4 etc.), Index: erstes Verordnungsdatum
C(omparison)
Vier Vergleichsarme mit jeweils monoklassigen Nutzern von
DPP‑4‑Hemmern
SGLT2‑Hemmern
Sulfonylharnstoffen
„Any non–GLP‑1‑RA“ (DPP‑4, SGLT2 oder Sulfonylharnstoff)
O(utcomes)
Primär: erste Diagnose „chronischer Husten“ innerhalb von 5 Jahren nach Index (chronischer Husten = ≥8 Wochen anhaltend, operational über ICD-Diagnosecodierung, nicht klinisch phänotypisiert)
Sekundär:
neue GERD‑Diagnose innerhalb von 5 Jahren
Analysen nach GERD‑freier Population
Wichtige Ergebnisse
Unter GLP‑1‑RA vs. „any non–GLP‑1‑RA“ beträgt die adjustierte Hazard Ratio 1,12 (95%-KI 1,08–1,16), die kumulative Inzidenz über 5 Jahre ist im GLP‑1‑Arm geringfügig höher (ca. +0,4 Prozentpunkte). Nicht signifikant verschieden ist der Arm GLP‑1‑RA vs. SGLT2‑Hemmer.
In der Subanalyse mit nur jenen ohne irgendeine GERD‑Diagnose steigen die Hazard Ratios noch etwas weiter an. Der Effekt wird also stärker wenn eine (kodierte) GERD ausgeschlossen wird. Das könnte den Autoren zufolge auf eine mögliche Erklärung deuten, wie einen „silent“ laryngopharyngealen Reflux bzw. Mikroaspiration oder vagal vermittelte Mechanismen, was auch schon als Fallbericht beschrieben wurde.2
In absoluten Risiken
Vor Matching hatten GLP‑1‑RA‑Nutzer 1,6% neue Husten-Diagnosen in 5 Jahren; andere Klassen lagen zwischen 0,8–1,4%. Die absoluten Differenzen sind formal also im Bereich von Zehntel‑Prozentpunkten, nur könnten sie bei Millionen Anwendern eben relevant werden.
Limitierungen, Stärken & Aussage
Erst das Schwache …
Ja, es ist nur eine Beobachtungsstudie, die ein Residualkonfounding haben kann und sowie erst einmal nur Assoziationen zeigt kann, aber keine Ursache-Wirkung-Beziehungen.
GLP‑1‑RA werden typischerweise bei höherem BMI eingesetzt und multiplen Komorbiditäten eingesetzt, was per se als „hustenanfälliger“ gelten könnte.
Die Husten-Diagnose war ohne Verifizierung oder Ausschluss akuter Ursachen.
Da die Versicherten in den untersuchten tertiären Zentren womöglich häufiger zu Spezialisten überwiesen wurden, kann das die Diagnosewahrscheinlichkeit und damit das Signal beeinflusst haben.
… dann das Stärkere
Sehr große Kohorten mit ausreichenden Ereignissen für moderate Effekte.
Systematisches Propensity‑Matching auf zahlreiche klinisch relevante Confounder inkl. Hustenklassiker ACE‑Hemmer.
Konsistente Effekte über mehrere Vergleichsarme hinweg (ausgenommen SGLT2‑Hemmer) und plausibler biologischer Mechanismus (Reflux, vagale Aktivierung, Xerostomie).
Einbettung in ein zunehmend konsistentes Bild anderer Studien zu GERD‑ und HNO‑Nebenwirkungen von GLP‑1‑RA.345
Wie groß ist der Effekt wirklich?
Eine Hazard Ratio von 1,1–1,3 klingt natürlich eindrucksvoll, aber zur Wahrheit gehört, dass wir hier vor allem moderate Risikosteigerungen sehen. Anhand der absoluten Risikounterschiede binnen 5 Jahren reden wir von ungefähr über 0,3–0,5% zusätzlich kodierte Diagnosen chronischen Hustens unter GLP‑1‑RA.
Für eine NNH (number needed to harm) käme man somit näherungsweise auf einen zusätzlichen chronischer Hustenfall pro ca. 200–300 mit GLP‑1‑RA behandelte T2DM‑Patient:innen (unter SGLT2‑Hemmern ist sie mit 500–1000 noch größer).
Für den Einzelnen mag das klinisch kein bedeutsames Risiko sein, für Millionen Nutzer könnte es aber fürs Gesundheitssystem in toto relevant sein.
Zur Einordnung: 2024 wurden GLP-1-RA hierzulande 2,7 Mio. Mal verordnet.6 Bei der obigen NNH-Annahme könnte das rechnerisch für 9–14.000 zusätzliche Fälle chronischen Hustens binnen 5 Jahren stehen.
Für die Beratung im klinischen Alltag könnte es bedeuten, auf diese mögliche Nebenwirkung vor allem hinzuweisen bei
bekannter GERD/LPR, chronischer Husten, Asthma, COPD, OSA,
starkem Tabakkonsum, schwerer Adipositas, bekannter Gastroparese.
Und eines noch: In den einschlägigen Fachinformationen, bspw. zu Wegovy, findet sich die Nebenwirkung Husten bislang nicht.7 In der einschlägigen Semglutid-Zulassungsstudie STEP-1 wurde Husten o.ä. nicht als adverse event genannt.8 In der gleichzeitigen STEP-4-Studie wurde immerhin im Supplement Aufstoßen als Nebenwirkung bei 7,9% der Probanden im Interventionsarm genannt.9
Eine PubMed-Recherche zu “glp-1” AND cough brachte heute übrigens 5 Ergebnisse.
Einen schönen Mittwochabend!
Literatur
Gallagher TJ, Razura DE, Li A, et al. Glucagon-Like Peptide-1 Receptor Agonists and Chronic Cough. JAMA Otolaryngol Head Neck Surg Published Online First: 26 November 2025. doi: https://doi.org/10.1001/jamaoto.2025.4181
Essilfie-Quaye K, Maule G, Hashim H, et al. Semaglutide-Induced Silent Aspiration: An Unrecognised Cause of Organising Pneumonia. Respirol Case Rep 2025;13(7):e70249. doi: https://doi.org/10.1002/rcr2.70249
Noh Y, Yin H, Yu OHY, et al. Glucagon-Like Peptide-1 Receptor Agonists and Risk for Gastroesophageal Reflux Disease in Patients With Type 2 Diabetes: A Population-Based Cohort Study. Ann Intern Med 2025;178(9):1268–78. doi: https://doi.org/10.7326/annals-24-03420
Liu BD, Udemba SC, Liang K, et al. Shorter-acting glucagon-like peptide-1 receptor agonists are associated with increased development of gastro-oesophageal reflux disease and its complications in patients with type 2 diabetes mellitus: a population-level retrospective matched cohort study. Gut 2024;73(2):246–54. doi: https://doi.org/10.1136/gutjnl-2023-329651
Khan FI, Vazquez SG, Mehdi Z, et al. Otolaryngologic Side Effects of GLP-1 Receptor Agonists. Laryngoscope2025;135(7):2291–8. doi: https://doi.org/10.1002/lary.32061
Laut PharMaAnalyst vom WIdO mit der ATC-Suchabfrage A10BJ (Glucagon-like-Peptid-1-(GLP-1)-Rezeptoragonisten).
Novo Nordisk. Fachinformation Wegovy, Stand September. 2025. https://www.fachinfo.de/fi/pdf/023614/wegovy-r
Wilding JPH, Batterham RL, Calanna S, et al. Once-Weekly Semaglutide in Adults with Overweight or Obesity. N Engl J Med 2021;384(11):989–1002. doi: https://doi.org/10.1056/nejmoa2032183
Rubino D, Abrahamsson N, Davies M, et al. Effect of Continued Weekly Subcutaneous Semaglutide vs Placebo on Weight Loss Maintenance in Adults With Overweight or Obesity. JAMA 2021;325(14):1414–25. doi: https://doi.org/10.1001/jama.2021.3224




Die frage bei noch so gutem prosperity matching einer Beobachtungsstudie ist trotzdem immer, ist es Effekt oder "just noice"?