Asymptomatische Karotisstenose: CEA ist tabu, Stent nur bei Ausnahmen – Evidenz-Quickie
Eine neue CREST-2-Publikation mit 2 Studien
Dieser Quickie ist für alle, die sich um die Karotiden sorgen und das, was oben dran hängt. Und für alle, die wenig Zeit haben oder nicht lange lesen wollen, hier direkt die klinische Aussage und Empfehlung, das tl;dr:
Bei asymptomatischer höhergradiger (≥70%) Karotisstenose ist die herkömmliche kardiovaskuläre Risikoprävention Goldstandard. Die Endarteriektomie (CEA) darf keine Rolle mehr spielen! Wenn überhaupt kann in sehr spezifischen Einzelfällen per partizipativer Entscheidungsfindung ein Stent erwogen werden – und zwar
wenn eine konservative medikamentöse Therapie nicht genügend erscheint,
der Wunsch überwiegt, das langfristige Schlaganfallrisiko zu senken, und gleichzeitig die periprozeduralen Risiken in Kauf genommen werden können, sowie
ein Zentrum mit erfahrenen Fachärzt:innen für die Intervention verfügbar ist.
Das jedenfalls ist die Empfehlung, die die heute veröffentlichten neuen Daten der CREST-2-Studie sprechen. Die Arbeit ist im New England Journal of Medicine erschienen:1
Zwei Aspekte sind bemerkenswert:
Die vorliegende Arbeit besteht aus zwei parallelen randomisierten (jeweils 1:1) Studien mit jeweils rund 1.240 Probanden (CEA vs. intensive Medikation sowie Stent vs. intensive Medikation).
Die Interessenerklärungen der Autor:innen sind insofern bemerkenswert, als das „nur“ 7 der 43 (also 16%) Verbindungen zur Industrie angeben; die Mehrheit gibt vor allem Verbindungen zu öffentlichen Einrichtungen (bspw. NIH) an.
Und weil bis hierin alles so klar und eindeutig scheint, jetzt aber die Mehrdeutigkeiten kommen und wir zu Fans der Ambiguitätstoleranz geworden sind (Grüße nach Sachsen-Anhalt), möchten wir gerne einen feinen Hörtipp teilen, den eine Hörerin mit uns geteilt hat (Grüße ins niedersächsische Rotenburg):
Deutschlandfunk Kultur vom 30.12.2019
Ambiguitätstoleranz: Lernen, mit Mehrdeutigkeit zu leben
Nun aber zu den Details.
CREST-2 im PICO-Schema
Die beiden parallelen und beobachterverblindeten Studien sind an 155 Zentren in Australien, Kanada, Israel, Spanien und den USA durchgeführt worden. Die Randomisierung hat im Dezember 2014 begonnen. Der letzte Follow-up-Besuch datiert auf den 31. Juli 2025.
P(opulation)
Erwachsene ≥ 35 Jahre mit
asymptomatischer hochgradiger (≥70%) Karotisstenose
keine Schlaganfall-/TIA-Symptome ipsilateral binnen 180 Tagen vor Randomisierung
medianes Alter ca. 70 Jahre (±8 J.)
ca. 38% Frauen
überwiegend weiße Bevölkerung
hohe Rate an CV-Risikofaktoren: Hypertonie ~87%, Diabetes ~38%, Dyslipidämie ~92%, Raucher ~21%, BMI im Mittel ~29
Ausschluss: frühere schwere Behinderungen, instabile Angina pectoris, Vorhofflimmern mit Antikoagulation, Schwangerschaft
I(ntervention)
Karotis-Stenting plus intensive Medikation
Karotis-Endarteriektomie plus intensive Medikation
C(omparison)
Jeweils intensive medikamentöse Therapie allein (Blutdruckziel <130 mmHg, LDL <70 mg/dl, Raucherentwöhnung, Lifestyle-Maßnahmen),
bei Bedarf ab dem Jahr 2018 auch Alirocumab, wobei Angaben fehlen, wie viele Probanden den PCSK9-Hemmer erhielten (den Autor:innen zufolge ist CREST-2 eine Vor-PCSK9-Hemmer-Ära-Studie)
O(utcome)
Primärer Endpunkt:
kombinierter Endpunkt aus jedem Schlaganfall oder Tod (bis Tag 44),
ipsilateraler ischämischer Schlaganfall während medianem Follow-up bis zu 4 Jahre.
Sekundäre Endpunkte: kognitive Funktion, minor/major stroke, Gewebe-basierte Events, Mortalität, SAE-Analysen.
Wichtige Ergebnisse
Stent + intensiv medikamentös: Signifikante Reduktion des primären Endpunkts im Vergleich zum reinen medikamentösen Management:
2,8% vs. 6,0% nach 4 Jahren; absolute Differenz 3,2%, p=0,02; NNT=31.CEA + intensiv medikamentös: Kein signifikanter Unterschied vs. medikamentös allein:
3,7% vs. 5,3%; absolute Differenz 1,6%, p=0,24.Periprozedurales Risiko: Keine Schlaganfälle/Todesfälle in den Kontroll-Gruppen (bzw. 3 Ereignisse bzw. 0,5% der Probanden in der Kontrollgruppe der CEA-Studie), aber bei 1,3% in der Stent-Gruppe bzw. 1,5% in der CEA-Gruppe
Langzeitrisiko: Stenting reduzierte das Risiko für ipsilateralen Schlaganfall über 4 Jahre: Jahresrate 0,4% vs. 1,7%; RR=4,07.
Subgruppen: Kein Hinweis auf Heterogenität bzgl. Alter, Geschlecht, Komorbiditäten.
SAE: Niedriges Risiko von schwerwiegenden Nebenwirkungen; Re-Stenose-/Re-Vaskularisierungsrate unter 5%.
Ein paar Limitationen
Naturgemäß können solche Interventionen nicht verblindet werden.
Die Effektstärke basiert auf wenigen Ereignissen, hätte es in der Stent-Gruppe nur 3 Ereignisse mehr gegeben, wären die Unterschiede zur alleinigen Medikation nicht mehr signifikant.
Die intensive medikamentöse Therapie wurde zentral begleitet, im Versorgungsalltag könnte sie schlicht schlechter wirken.
Die Interventionen wurden von sehr erfahrenden Operateuren durchgeführt, was für den Versorgungsalltag in der Fläche ebenfalls nicht generalisierbar sein könnte.
Neue medikamentöse Optionen (z.B. PCSK9-Hemmer, GLP-1-Agonisten) sind erst verfügbar geworden, während CREST-2 schon lief.
Wie klein die Unterschiede sind, zeigt diese Grafik aus dem Paper (der Plot im Plot ist sozusagen ein Zoom mit skalierter Y-Achse):
Key takeaways
Stenting zeigt statistisch signifikante Schlaganfall-Reduktion, aber der absolute Nutzen ist klein: NNT=31 über 4 Jahre bzw. müssten 100 Patienten einen Stent erhalten, damit pro Jahr einer keinen Schlaganfall bekommt. Nur steht das periprozedurale Risiko relativ zum Langzeitgewinn, da im selben Zeitraum 1 Patient durch die Prozedur einen Schlaganfall hat oder stirbt.
Die Endarteriektomie ist bei dieser Indikation tabu.
Mit den neueren medikamentösen Möglichkeiten (PCSK9-Hemmer, GLP-1-RA) könnten die Risiken womöglich ähnlich gut reduziert werden (was aber erst in Studien untersucht werden muss).
Ergo: Bei asymptomatischer höhergradiger Karotisstenose soll eine Intervention primär vermieden werden und initial eine intensive medikamentöse Therapie mit strengem Risikofaktormanagement favorisiert werden. Re-Vaskularisation nur in Ausnahmefällen, z.B. bei sehr hohem individuelles Risiko, bei Progression unter intensiver Betreuung oder bei Patientenwunsch (nach ausführlicher Risikoaufklärung).
So betonen es auch Martin Brown (London) und Leo Bonati (Basel) im begleitenden und sehr lesenswerten Editorial.2 Sie verweisen zudem auf die beiden Studien SPACE-23 und ECST-2,4 die zuletzt keinen relevanten Vorteil der Interventionen gegenüber intensiver medikamentöser Therapie gezeigt hatten.
Ein schönes Wochenende!
Literatur
Brott TG, Howard G, Lal BK, et al. Medical Management and Revascularization for Asymptomatic Carotid Stenosis. N Engl J Med Published Online First: 21 November 2025. doi: https://doi.org/10.1056/nejmoa2508800
Brown MM, Bonati LH. Managing Asymptomatic Carotid Stenosis. N Engl J Med Published Online First: 21 November 2025. doi: https://doi.org/10.1056/nejme2515725
Reiff T, Eckstein H-H, Mansmann U, et al. Carotid endarterectomy or stenting or best medical treatment alone for moderate-to-severe asymptomatic carotid artery stenosis: 5-year results of a multicentre, randomised controlled trial. Lancet Neurol 2022;21(10):877–88. doi: https://doi.org/10.1016/s1474-4422(22)00290-3
Donners SJA, Velzen TJ van, Cheng SF, et al. Optimised medical therapy alone versus optimised medical therapy plus revascularisation for asymptomatic or low-to-intermediate risk symptomatic carotid stenosis (ECST-2): 2-year interim results of a multicentre randomised trial. Lancet Neurol 2025;24(5):389–99. doi: https://doi.org/10.1016/s1474-4422(25)00107-3





